Der scharfe Start

Die Tour de France erreicht die hohen Berge. Das dürfte alles noch mal durcheinanderwürfeln

  • Tom Mustroph, Toulouse
  • Lesedauer: 4 Min.

Eine Tour de France-Etappe beginnt gewöhnlich mit einem neutralisierten Start im Stadtzentrum. Das Rathaus ist beflaggt, gelbe Hemden sind am Kirchturm aufgezogen. Dann geht es ein paar Kilometer im lockeren Tempo durch die Innenstadt. Menschen winken, manche Radprofis auch. Wer vergessen hat, die Energieriegel einzustecken, kann sich noch mal schnell zum Teamfahrzeug zurückfallen lassen, ohne dass die Kontrahenten davonfahren würden. Dann kommt der scharfe Start. Hier erst beginnt das Rennen wirklich.

An einem ganz ähnlichen Punkt befindet sich nun die gesamte Tour. Das Vorspiel ist vorbei. In ihm hat sich die Jumbo-Visma-Truppe mit vier Etappensiegen prächtig präsentiert. Auch Julian Alaphilippe strahlt schon einige Tage im Gelben Trikot des Gesamtführenden. Und Emanuel Buchmann hat ebenfalls einen tollen Eindruck hinterlassen. Der Ravensburger geht auf Platz fünf liegend in die Berge, nur 33 Sekunden hinter Titelverteidiger Geraint Thomas. Übermütig wird Buchmann deshalb nicht. »Er weiß, er liegt im Plan«, sagte Zimmerkollege Maximilian Schachmann am Ruhetag. Im Plan, mehr nicht.

Ewan gewinnt im Massensprint

Der Australier Caleb Ewen hat seine erste Etappe bei der Tour de France gewonnen. Der 25-Jährige aus Sydney holte sich nach 167 Kilometern von Albi nach Toulouse den Tagessieg im Massensprint vor dem Niederländer Dylan Groenewegen und dem Italiener Elia Viviani.

Deutsche Fahrer konnten nicht um den Sieg mit spurten. Für Lokalmatador Julian Alaphilippe reichte ein Platz im Hauptfeld, zur Verteidigung der Gesamtführung. Emanuel Buchmann bleibt auf Platz fünf. nd

»Keine Zeit verlieren in der ersten Woche« hatte Buchmann zum Tourstart in Brüssel als Motto ausgegeben. Daran hat er sich weitgehend gehalten. Im Teamzeitfahren verlor seine Mannschaft nur 26 Sekunden auf das Team Ineos von Thomas. Weitere sieben bekam Buchmann vom Waliser auf der Planche des Belles Filles draufgepackt. Da trat Thomas überraschend an, weil er wohl auch zeigen wollte, wer Herr im eigenen Hause war. Er distanzierte den Teamkollegen Egan Bernal um neun Sekunden. Buchmann war also sogar zwei Sekunden besser als der Kolumbianer, den viele für den kommenden Toursieger halten. Er war auch gleichauf mit Nairo Quintana; der galt mal als kommender Toursieger und kämpft nun darum, nicht nur als ehemaliger kommender Toursieger in die Geschichte einzugehen.

Buchmann ist stolz auf seine Platzierung, denn er hat sie sich hart erarbeitet. »Ich habe mich Schritt für Schritt entwickelt«, sagt er. Das klingt bescheiden. Es erinnert an ein Eichhörnchen, das fleißig Nüsse gesammelt und ein hübsches Lager für den Winter angelegt hat. Bescheiden klingt es aber nur für die, die Buchmann nicht sehen, während er das sagt. Denn sein Gesicht ist voller Entschlossenheit. Der Schreinersohn weiß, dass die Basis stimmt. Und das lässt ihn entschlossen die nächsten Ziele anpeilen. »Ein Platz unter den Top 10 ist realistisch«, sagt er. Und er sagt auch: »Ich verspüre deswegen keinen Druck.« Denn das ist ja realistisch.

Das Ziel wird aber nicht im Autopilot-Modus erreicht, das weiß Buchmann auch. Schon bei der Vuelta 2018 peilte er die Top 10 an, lag einige Tage lang sogar auf den Plätzen zwei bis vier. Am Ende wurde er aber doch nur Zwölfter.

Daraus hat er gelernt. Ursache sei ein Ernährungsproblem gewesen. »Unsere Theorie ist, dass ich in der Vorbereitung zu wenig Kohlehydrate gegessen hatte. Im Rennen muss man viele Kohlehydrate aufnehmen. Das habe ich auch gemacht. Dadurch hat der Körper aber alles eingelagert und ich habe zugenommen. Jetzt habe ich übers ganze Jahr mehr Kohlehydrate gegessen und wir hoffen, dass das nicht wieder passiert«, sagte Buchmann dem Branchendienst radsport-news.com.

Während er also darum kämpft, sich keinen Rückstand einzuhandeln, hat ein viel größerer Name Probleme, ausreichend davon einzufahren: Vincenzo Nibali kämpft um möglichst viel Abstand, denn nur dann, so die Idee, würden die anderen Favoriten dem Toursieger von 2014 in den Bergen mal die Erlaubnis zum Ausreißen geben. »In diesem Jahr war der Giro sehr anstrengend. Vincenzo kann daher bei der Tour nicht aufs Podium fahren. Also soll er sich stattdessen auf Tageserfolge konzentrieren«, erzählt Nibalis Trainer Paolo Slongo dem »nd«.

Für einen entsprechend großen Zeitverlust muss Nibali aber viel langsamer fahren, als er es gewohnt ist. »Vincenzo merkt jetzt, es ist gar nicht so leicht, Rückstand zu bekommen. Er orientiert sich schon an den Sprintern. Aber auch da erwischt er oft nicht die letzte Gruppe«, so Slongo. Am Montag sei Nibali ganz verblüfft gewesen, dass Peter Sagan noch hinter ihm ins Ziel fuhr. »Das müsst ihr mir doch sagen!«, habe er danach gefordert. Mal sehen, ob die bislang angesammelten 14 Minuten Rückstand für einen Freifahrtsschein auf der ersten Pyrenäenetappe an diesem Donnerstag ausreichen. Emanuel Buchmann wird den sicher nicht bekommen.

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