Afrika-Cup: Ab Sonntag regiert in Marokko der Fußball

Das Kontinentalturnier soll Tourismus und Selbstbewusstsein pushen. Doch in Cafés und Medinas wird über Kosten, Ungleichheit und Repression diskutiert

  • Mirco Keilberth, Rabat
  • Lesedauer: 5 Min.
Fanzone in Salé, der Nachbarstadt des Afrika-Cup-Spielortes Rabat
Fanzone in Salé, der Nachbarstadt des Afrika-Cup-Spielortes Rabat

Die Männer der Stadtreinigung haben die Regenjacken bis unter das Kinn geschlossen, unablässig tropft das Wasser von ihren Kapuzen. Der Müll, den sie vor dem Hauptbahnhof in Rabat im strömenden Regen zusammenkehren, wird immer wieder vom Wind hochgewirbelt. Aber Schichtleiter Mohamed Alami und seine Kollegen fegen stoisch weiter. »Wir haben uns ein einfaches Ziel gesetzt«, sagt Alami. »Ab Samstag werden Sie in dieser Stadt nirgendwo herumliegenden Müll finden.«

Marokko putzt sich heraus: Ab 21. Dezember wird hier der Afrika-Cup ausgespielt – in neun Stadien in den sechs Städten Agadir, Casablanca, Fès, Marrakesch, Rabat und Tanger.

Kurz vor Beginn des wichtigsten Fußballturniers des Kontinents haben die sechs Stadtverwaltungen noch einmal ihre Anstrengungen verstärkt. Überall sind Reparatur- und Reinigungsteams unterwegs, begleitet von etlichen Kamerateams. Die Berichterstattung über die Sauberkeitskampagne soll von dem ersten Kommunikationsdesaster ablenken, dass einem Unwetter vor wenigen Tagen folgte. In den Städten Safi und Tetouan waren bei Überschwemmungen mindestens 37 Menschen gestorben. Anwohner hatten vor laufenden Kameras über das marode Kanalisations- und Straßennetz geschimpft. Sie standen vor ihren vom Regen überspülten Häusern im Wasser und hielten selbstgemalte Plakate hoch. »Stoppt die Mammutprojekte, mehr Geld für uns Bürger!«

»Der Kontinent kennt Marokko bisher nur in Zusammenhang mit Migration.«

Jonathan Balogun Sportreporter aus Nigeria

Die Behörden konnten die öffentliche Wut so kurz vor dem Start des international beachteten Afrika-Cups nicht wie gewohnt mit Verhaftungen einhegen. Noch Ende September hatte das übliche Prinzip der harten Hand bestens funktioniert, als Zehntausende junge Menschen als »Generation Z212« auf den Straßen unterwegs waren wie zuvor bereits ihre Altersgenossen in Madagaskar und Tansania. Die marokkanischen Jugendproteste endeten schnell, als Zivilpolizisten eine Führungsfigur nach der anderen festnahmen.

Die Flutopfer von Safi und Tetouan indes durften protestieren, sie bekamen sogar unverhofft Gehör in staatlichen Medien. Armee und Bautrupps rückten an, um die Aufregung zu mildern. »Der Afrika-Cup ist ein Lackmustest für den großen Plan des Königs«, sagt der Journalist Lotfi aus Casablanca. »Für die gemeinsam mit Spanien und Portugal ausgerichtete Fußball-WM 2030 soll die jährliche Zahl der Touristen auf 30 Millionen steigen.« Wie auf Kommando hätten sich nun überraschend viele Marokkaner trotz steigender Preise und bröckelndem Wohlstand mit dem Plan angefreundet, berichtet Lotfi. »Vielleicht auch, weil ›Marokko 2030‹ der einzige konkrete Plan in einer von Verfall und Migration geplagten Region ist.«

Lotfi ist 35, er möchte seinen Nachnamen zumindest vor Beginn des Turniers nicht in einer Zeitung gedruckt sehen. Auch er sieht ein Riesenproblem in der immensen Diskrepanz zwischen den Investitionen in Fußballstadien und der maroden Infrastruktur in den Vororten der großen Städte. Nun sitzt er mit zwei Kollegen aus der Elfenbeinküste und Nigeria in einem der vielen neuen Cafés, die eine Fusion aus arabischer und westlicher Kultur sind. Die beiden Männer sind wie 300 weitere Journalisten aus allen Ecken des Kontinents angereist, um über das Kontinentalturnier zu berichten, das bis zum 18. Januar andauern wird.

»Wir haben uns schon vor Wochen online kennengelernt«, sagt Lotfi. »Ich zeige den Kollegen nun in den nächsten Tagen meine Heimatstadt.« Er sei »mächtig stolz«, dass Afrika in den nächsten Wochen nach Marokko blickt. »Aber ich habe auch das Gefühl, dass ich auf die beiden aufpassen muss. Noch vor wenigen Wochen wurden Menschen mit zu dunkler Hautfarbe von der Straße weg in Polizeiwagen verfrachtet. Weil sie Migranten sind. Und selbst wer Arbeit hatte, kam ins Gefängnis oder wurde an die algerische Grenze gefahren. Nun sind die Migranten aus der Öffentlichkeit verschwunden.«

Der aus Lagos angereiste nigerianische Sportreporter Jonathan Balogun legt lächelnd seine Hand auf die seines Gastgebers. »Ich bin von der stillen Effektivität und Freundlichkeit hier und der unaufgeregten Organisation überrascht. Mach dir keine Sorgen! Und anders als bei der WM in Katar gibt es ein echtes Leben hinter der Fußballkulisse. Der Kontinent kennt Marokko bisher nur in Zusammenhang mit Migration.«

Neben ihrer Expertise über die möglichen Stars des diesjährigen Cups tauschen sich die drei über die größer werdende soziale Spaltung zwischen Arm und Reich in ihren Heimatländern aus. »Madagaskar und Tansania waren nur der Beginn der Politisierung einer sonst immer vom öffentlichen Diskurs ausgeschlossenen Generation«, sagt der Kollege aus dem Senegal. Die jungen Afrikaner würden das Turnier in Marokko vor allem über die sozialen Medien verfolgen, glaubt er. Flugreisen seien auf dem Kontinent immer noch teurer als in Europa.

Das Tourismusministerium rechnet dennoch mit einem Drittel mehr Touristen während des Turniers, zusätzlich zu den rekordverdächtigen 18 Millionen Besuchern, die zwischen Januar und Mitte Dezember 2025 ins Land kamen. Die staatliche Fluglinie Air Maroc hat 660 Extraflüge aufgelegt, um den Gästen aus den Teilnehmerländern die Anreise möglich zu machen.

Lohnen sich die Investitionen in die neun Fußballstadien, in denen die 24 Teams spielen werden? In der Medina von Rabat diskutieren Händler die schwindelerregenden Kosten des Turniers. »Sogar im Erdbebengebiet südlich von Marrakesch wurde noch nicht alles wieder aufgebaut, jetzt muss die Küste geschützt werden«, sagt einer. »Und auch bei mir zu Hause regnet es durch. Die Afrika-Cup-Stadien werden ab Februar meist leer dastehen.«

Aber der Unmut ist verhalten, denn die Medina-Händler machen jeden Monat mehr und mehr Umsatz. Das Fußballturnier sehen sie als Beweis, dass Marokko nun mit Europa und Asien mithalten kann. Als eine der vielen schwerbewaffneten Polizeistreifen vorbeigeht, die seit Tagen in Rabat im Einsatz sind, verstummt das Gespräch. Nur eines scheint sicher: Das Turnier schafft eine Atempause in dem sozialen Konflikt, der Marokko und viele Teilnehmerländer fest im Griff hält. Mehr nicht.

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