»Wo ist unser Schiff?«

Iuventa seit zwei Jahren beschlagnahmt / Weitere Flüchtlingsretter im Mittelmeer warten auf sicheren Hafen

  • Fabian Hillebrand
  • Lesedauer: 4 Min.

Berlin Oranienplatz, am Freitagnachmittag. Sophie Tadeus und Sahra Fischer sind mit dem Aufbau einer Kundgebung beschäftigt. Die beiden haben vor einigen Jahren den Verein »Jugend rettet« gegründet, ein Schiff gekauft und sind damit ins Mittelmeer gefahren. Um das zu tun, wobei die EU-Staaten versagt haben: Menschen aus Seenot retten. Genau vor zwei Jahren wurde ihr Schiff beschlagnahmt. Daran erinnern sie mit ihrer Kundgebung.

»Die halten uns hin«, sagt Tadeus. Im August 2017 wird die »Iuventa« in einen italienischen Hafen beordert und dort von den Behörden beschlagnahmt. Die Staatsanwaltschaft erhebt schwere Vorwürfe: Menschenschmuggel und Zusammenarbeit mit Schlepperbanden. Ein Verfahren, das bis heute andauert. Die Staatsanwaltschaft zermürbt die Aktivist*innen. Das Schiff rostet derweil im Hafen von Trapani vor sich hin. »Die Maschine muss eigentlich gepflegt werden«, erläutert Tadeus. Wahrscheinlich werden hohe Geldsummen vonnöten sein, um das Schiff wieder in Stand zu setzten.

Schiffen droht Beschlagnahmung

»Es geht nicht nur um uns«, meint Fischer. Die Beschlagnahmung der Iuventa sei nur ein Puzzleteil in der repressiven Migrationspolitik der europäischen Staaten. Gegen Crewmitglieder der »Iuventa«, darunter Kapitänin Pia Klemp, wird seit einem Jahr ermittelt. Ihnen drohen hohe Geld- und Haftstrafen.

Lesen Sie dazu auch: »Die Vorwürfe sind knüppelhart.« Pia Klemp hat mehr als 1000 Menschen vor dem Ertrinken gerettet. In Italien wird nun gegen sie wegen Verdachts auf Beihilfe zu illegaler Einwanderung ermittelt.

Schiffe, die sich dem Verbot zur Einfahrt in italienische Gewässer widersetzen, droht die Beschlagnahmung. Anfang Juli war die »Sea-Watch 3« mit Kapitänin Carola Rackete unter Berufung auf einen Notstand an Bord in den Hafen von Lampedusa eingelaufen. Unmittelbar danach wurde das Schiff beschlagnahmt, Rackete droht Anklage wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und Beihilfe zur illegalen Einreise.

Im Mittelmeer ist die Situation weiter katastrophal

Während die Aktivist*innen in Berlin dafür protestieren, dass die »Iuventa« von der Kette gelassen wird, warten 2000 Kilometer weiter mehrere Rettungsschiffe auf die Zuweisung eines sicheren Hafens. Doch Italien zeigte sich wie immer unerbittlich. Die »Alan Kurdi« hatte Mitte der Woche 40 Menschen aus Seenot gerettet. Die Einsatzleitstelle der italienischen Küstenwache hätte Sea-Eye nun mitgeteilt, dass die maltesischen Behörden zuständig seien, »obwohl das Schiff genau vor Lampedusa liegt«, twitterte die Regensburger Organisation. »Malta ist mehr als 20 Stunden entfernt. Ein unerträglicher Streit wird auf dem Rücken der Flüchtlinge ausgetragen.« Italien hätte auch abgelehnt, Minderjährige, darunter Kleinkinder, und eine Schwangere von Bord zu bringen. Ein kleiner Junge mit einer Schusswunde sollte nach Malta gebracht werden.

Italiens rechter Innenminister Matteo Salvini hat dem Schiff die Einfahrt verboten und gedroht, es zu beschlagnahmen, sollte es in Italien anlanden. Aus Malta kamen bisher keine Signale, das Boot aufzunehmen.

Spuren der Gewalt

Auch die spanische Hilfsorganisation Proactiva sucht nach einem sicheren Hafen. Das Schiff »Open Arms« habe in der Nacht zum Freitag weitere 69 Migranten vor der libyschen Küste gerettet. Das Schiff habe nun 124 Menschen an Bord, nachdem am Donnerstag bereits 55 größtenteils aus Eritrea stammende Menschen von einem Leck geschlagenen Boot gerettet worden waren, teilte Camps mit. An Bord sind neben Schwangeren auch neun Monate alte Zwillinge. Die in der Nacht an Bord genommenen Migranten trügen deutliche Zeichen von Gewalt an ihren Körpern - diese erlitten sie in Libyen.

Italien hatte auch diesem Schiff mitgeteilt, dass es nicht anlegen dürfe. Kapitän Marc Reig sagte dem spanischen Fernsehen, er habe sich an alle zuständigen Behörden in Libyen, Malta und Italien gewandt, ohne eine Antwort zu erhalten. Das Schiff fährt unter spanischer Flagge.

»Das ist so ermüdend. Wir bekommen von keiner Seite Unterstützung. Nazis bedrohen dich, Regierungen üben sich in Untätigkeit oder Schlimmeren. Wir laufen mit dem Kopf gegen Mauern«, sagt Fischer auf der Kundgebung in Berlin. Sie ist mit der Iuventa auf Rettungsmissionen gefahren, kennt die Situation auf dem Meer. Trotz aller Widerstände sieht Tadeus noch Land für die zivile Seenotrettung. »Ohne den Druck, den wir auf die Regierungen aufbauen, würden diese nicht über Dinge wie europäische Vierteilmechanismen diskutieren.« Das Sterben auf dem Mittelmeer würde unsichtbar bleiben, wären dort keine zivilen Rettungsorganisationen unterwegs.

Trotz aller Frustration will auch Sahra Fischer sich weiter engagieren. Und am Ende ist sie auch einfach stolz: Darauf, dass sie mit anderen jungen Leuten, mit Schülern, Azubis und Studenten geschafft hat, woran die Europäischen Regierungen gescheitert sind: Menschen aus Seenot zu retten. Zumindest bis zur Festsetzung ihres Schiffes.

Lesen Sie dazu auch: Jugend rettet. Der Film »Iuventa« ist ein ergreifendes Porträt der Seenotrettung unter extremen politischen Bedingungen.

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