Klimademos statt Mord und Totschlag

Die meisten Journalisten widmen der aktuellen Klimakrise nicht genügend Aufmerksamkeit, meint Simone Regina Adams. Das müsse sich ändern, wenn die Katastrophe verhindert werden soll

  • Simone Regina Adams
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer sich im Netz die Bundespressekonferenz vom März 2019 mit den Scientists for future ansieht, sollte einmal auf die Fragen der Journalisten am Ende der Veranstaltung achten: Die meisten davon sind kleinteilig, skeptisch und kühl-distanziert - als ginge es hier um ein weiteres beliebiges Thema, über das man im Anschluss für das jeweilige Medienhaus berichten wird. Als ginge es nicht um eine globale Krise, die uns alle betrifft. Man mag erwidern, dass das schließlich die Aufgabe der Journalisten sei: neutral und objektiv zu informieren. Dabei kann es bei diesem Thema gar keine neutrale Haltung geben. Wer sich noch immer so verhält, als hätte das alles nichts mit ihm oder ihr zu tun, gibt damit - man kann eben nicht nicht kommunizieren - ein deutliches Signal: Das Orchester spielt noch. So schlimm kann es um die Titanic nicht stehen.

Wir haben ein immenses Wissen um die Klimakrise, das Artensterben und die Ressourcenausbeutung auf dem Planeten. Wir haben längst die Technologie und das Wissen, um die Klimakatastrophe zumindest zu begrenzen. Eigentlich unbegreiflich, dass wir nicht ausreichend handeln: nicht individuell, nicht politisch, nicht kollektiv. Und auch der Journalismus hat seine Haltung angesichts der riesigen Aufgaben, die auf uns zukommen, offenbar noch nicht gefunden.

Warum gibt es noch immer keine Journalists for future? Ist der Journalist und Autor Franz Alt der einzige in Deutschland, der sich dieser Frage stellt? »Only bad news are good news«, zitiert er die alte Schreibregel und bringt ein Beispiel dafür, was das derzeit bedeutet: Am 15. März 2019 demonstrierten weltweit 1,6 Millionen Menschen für den Klimaschutz. Doch zur selben Zeit gab es in Neuseeland einen Anschlag auf eine Moschee. Die Morde beherrschten die Schlagzeilen und Aufmacher der Weltmedien.

Selbst wenn über die Klimaschützer berichtet wird: Es ist nicht die Zeit für Homestorys über Greta Thunberg. Es geht darum, dass wir die Zukunft ruinieren, wenn wir jetzt nicht handeln. Es geht auch nicht darum, ob Rezo mit seinem Video Geld verdient hat. Es geht um die Fakten, die dieser Youtuber für uns so klar aufbereitet hat, dass wir sie eigentlich nicht mehr ignorieren können. Können wir nicht? Doch, anscheinend können wir das.

Besonders fatal ist, wie derzeit über die Akzeptanz von Verboten diskutiert wird - als bedeute es nicht einen immensen Verzicht und Verlust für uns alle, wenn wir so weitermachen wie bisher. Verbote? Bloß nicht. Dabei gibt es so vieles, worauf wir längst schon verzichten müssen: saubere Strände, gesunde Wälder, saubere Luft, sauberes Wasser und unbelastete Lebensmittel. Wir leben mit Plastik im Körper, mit Asthma und Krebserkrankungen. Wir beklagen Hitzetote und das Elend der Klimaflüchtlinge. Wir müssen nach jeder Schreckensmeldung unsere Zukunftsängste verdrängen, um weitermachen zu können wie bisher. Aber bloß keine Verbote. Wir wollen keine Gängelung, kein Moralisieren und niemanden, der uns den Spaß verdirbt. Was ist das für ein Preis, den wir alle dafür zahlen, (noch) auf nichts verzichten zu müssen.

Journalisten sind nicht neutral. Sie können es angesichts der globalen Krise auch gar nicht sein. So hat der »Guardian« beschlossen, seine Sprache der Wissenschaft anzupassen und statt von »Erderwärmung« und »Klimawandel« in Zukunft von Erderhitzung und Klimakrise zu sprechen - und das Thema (mit der Kampagne coveringclimatenow) in den Fokus zu rücken. Das ist dringend notwendig. Noch ein Beispiel? Die großen US-Fernsehsender widmeten in diesem Frühjahr in einer einzigen Woche mehr Sendezeit den Babys im britischen Königshaus als dem Klima - in einem ganzen Jahr.

Nun will man also vom 16. bis 23. September, dem Tag des internationalen Klimaschutzgipfels, gemeinsam mit anderen Medien weltweit berichten. Fernsehsender wie CBS sind dabei, japanische, italienische Zeitungen, Fachpublikationen, Radiosender, Online-Portale ebenso. Warum liest man darüber nichts, in der deutschen Presse?

Der Klimawandel, so der »Guardian«, ist die übergeordnete Geschichte unserer Zeit. Sie muss von Hoffnung handeln, von Chancen und von konkreten Zielen, die wir gemeinsam erreichen können. Auch und gerade der Journalismus kann dazu beitragen, dass aus dieser Geschichte nicht bad news, sondern good news werden.

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