Johnson spaltet die Tories

Interne Gegner des britischen Premiers fliegen aus Fraktion / Unterhaus debattiert Neuwahl

  • Peter Stäuber, London
  • Lesedauer: 3 Min.

Boris Johnsons Karriere als Premier begann mit einer schweren Niederlage. In einer Reihe von außergewöhnlichen Vorgängen im Unterhaus verlor der britische Regierungschef am Dienstag seine konservative Parlamentsmehrheit und die Kontrolle über den Brexit-Prozess. Die pro-europäischen Abgeordneten versuchen in den nächsten Tagen, den No-Deal-Brexit am 31. Oktober endgültig auszuschließen, um dann möglicherweise der von Johnson geforderten Parlamentswahl zuzustimmen.

Wenige Stunden vor der entscheidenden Abstimmung hatte der Premierminister versucht, die EU-freundlichen Tories von einem Votum für die Vorlage der Opposition abzubringen. Das vorgeschlagene Gesetz schließt aus, dass das Vereinigte Königreich Ende Oktober ohne Nachfolgevertrag aus der EU fliegt - und damit unterminiert es Johnsons Brexit-Strategie. Am Dienstag stimmten die Abgeordneten zunächst darüber ab, ob die Brexit-Vorlage am Mittwoch debattiert werden soll - gemäß dem parlamentarischen Prozedere der erste Schritt für jedes Gesetz. Der Regierungschef drohte den Abgeordneten, dass jeder, der für die Vorlage stimmt, aus der Fraktion geschmissen wird - im britischen Parlamentsbetrieb eine sehr autoritäre Drohung.

Dennoch schlossen sich 21 Tories der Opposition an und stimmten für das Gesetz: Die Regierung verlor mit 301 zu 328 Stimmen. Johnson reagierte unwirsch, im Anschluss an das Votum hielt er eine kurze Ansprache, in der er behauptete, wenn die Vorlage am Mittwochabend durchkäme, dann würde das »die Kontrolle über die Verhandlungen der EU übergeben«. Deshalb werde er sich weigern, dem zuzustimmen - und stattdessen eine Neuwahl fordern, wahrscheinlich am 15. Oktober.

Die Opposition fürchtet jedoch, dass das eine Falle sein könnte: Damit sie den No-Deal-Brexit ganz sicher ausschließen können, muss das Gesetz vorher abgesegnet werden. Denn sonst könnte Johnson im Fall eines Wahlsiegs den EU-Austritt Ende Oktober weiterhin auf einen vertragslosen Austritt zwei Wochen später drängen. Wenn die Opposition das Votum von Mittwochabend durchbringt (nach Redaktionsschluss), dann könnte das Gesetz bald unter Dach und Fach sein - und Labour sowie die anderen Oppositionsparteien werden entscheiden müssen, ob sie einer Parlamentswahl zustimmen.

Manche Beobachter vermuten, dass vorgezogene Neuwahlen von Anfang an Johnsons Plan war: Die harte Linie, die er und sein Chefberater Dominic Cummings verfolgen, war demnach darauf ausgerichtet, den Widerstand der pro-europäischen Parlamentarier zu provozieren. So kann die Regierung behaupten, sie sei vom Unterhaus zu Neuwahlen gezwungen worden. Entsprechend könnte sich Johnson den Wählern als Demokrat präsentieren, der den Willen des Volkes umsetzt, während die Opposition als Brexit-Saboteurin dastünde.

Aber die Regierung scheint sich übernommen zu haben. Der Ausschluss von 21 Tories - darunter der amtsälteste Abgeordnete, Ken Clarke, sowie der Enkel von Winston Churchill, Nicholas Soames - hat weitherum Empörung ausgelöst. Viele moderate Tories teilen Clarkes Einschätzung, dass die Tories nunmehr »die Brexit-Partei mit einem neuen Namensschild« sei. Das wird auch Auswirkungen auf Johnsons Wahlchancen haben.

Die anti-demokratischen Tendenzen, die Johnsons Kabinett zunehmend an den Tag legt, wird die bedeutende Zahl an gemäßigten und eher EU-freundlichen Tory-Wählern verstärkt in die Hände der Liberaldemokraten treiben. Im pro-europäischen Schottland, wo die Konservativen unter der beliebten Chefin Ruth Davidson in den vergangenen Jahren verhaltene Fortschritte erzielten, werden die autoritären Manöver der Regierung ebenfalls Stimmen kosten. Davidson hat vergangene Woche ihren Rücktritt angekündigt. Sie verlässt den Posten zwar aus familiären Gründen, machte aber aus ihrer Abneigung gegen Johnson und den Brexit nie ein Geheimnis.

Freilich setzt Johnson darauf, dass er die »Leave«-Wähler, die sich vermehrt zu Nigel Farages Brexit-Partei hingezogen fühlen, zurück zu den Tories locken kann. Zu einem gewissen Grad hat er dies mit seiner harten Linie bereits geschafft: Vor einigen Monaten lag die Brexit-Partei in Umfragen bei rund 20 Prozent, mittlerweile sind es nur noch etwa 14 Prozent. Das wäre aber noch immer genug, um die Tories in etlichen EU-kritischen Wahlkreisen die Mehrheit zu kosten.

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