Keine Träne dem Protestwähler?

Eine Linke, die im Kampf gegen Rechts ihre Wähler aufgibt, gibt sich selbst auf.

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach der Niederlage der Linkspartei bei den Landtagswahlen vor einer Woche in Brandenburg und Sachsen war es vielfach zu hören: Kein Weiter-so! So etwas wie eine Notbremsung wird da verlangt. Und dann? Es braucht eine Erklärung, was geschehen ist und wo der Ausweg liegt. Die steht noch aus, auch wenn derzeit das Verdikt gilt: Bis zur Landtagswahl in Thüringen herrscht Ruhe. Es dauert noch sieben Wochen bis zu dieser Wahl, bei der es darum geht, wie die Wähler die Nützlichkeit des ersten linken Ministerpräsidenten in Deutschland bewerten. Streit könnte dem Ergebnis schaden, und Streit ist absehbar, wenn es um Ursachenanalyse geht.

Mit Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch haben sich allerdings die Vorsitzenden der Bundestagsfraktion selbst über diese Auflage hinweggesetzt. Indem sie eine Verantwortung der eigenen Partei für den Aufschwung der AfD in Ostdeutschland ansprachen, steckten sie das für sie offenbar entscheidende Feld bereits ab.

Es geht um ein Streitthema, das vor Monaten als Konflikt um die Milieus ausgetragen wurde, denen die LINKE in erster Linie ihre Aufmerksamkeit widmen müsse: die urbanen, kosmopolitischen Wählerschichten, denen die Partei in den letzten Jahren vor allem ihren Zuspruch verdankte und die mit Menschenrechts- und linkskulturellen Themen zu begeistern sind, oder die angestammte Wählerschaft der arbeiternahen, auch der ländlichen Bevölkerung, die sich mit der Gefahr der Prekarisierung konfrontiert sieht und häufig als weniger aufgeschlossen für Menschenrechtsfragen und dafür umso mehr als globalisierungskritisch gilt. Häufig schwingt hier ein Vorwurf des Nationalismus mit.

Wieso entweder oder? Die LINKE müsse alle gleichermaßen vertreten, lautet der Versöhnungsversuch. Parteichef Bernd Riexinger verwies zu Wochenbeginn darauf, dass unter der vermeintlich grünliberalen Anhängerschaft viele sich nur mit Mühe über Wasser halten, also auch dem Prekariat zuzurechnen seien. Und Dietmar Bartsch räumte im »nd«-Interview ein, dass natürlich alle Milieus der LINKEN gleich wichtig sein müssten. Aber zugleich müsse die Partei wissen, »wer sie braucht: diejenigen, denen es nicht gut geht und die bei keiner anderen Partei im Mittelpunkt stehen«.

Wenn ein Teil der Wähler der LINKEN sich abwendet, weil nach ihrem Eindruck die sie belastenden Verhältnisse nicht mehr im Vordergrund des Interesses der Partei stehen, hat diese ein Problem. Argumente von links gegen die AfD und ihre Wählerschaft könnten diesen Eindruck verstärken. Einstige Wähler der LINKEN, die inzwischen der AfD ihre Stimme geben, werden vielfach als nachträglich peinlich empfunden. Nur schwer lässt sich die Distanz vieler Linker überhören. Jörg Schindler, Bundesgeschäftsführer der LINKEN, formulierte gegenüber »nd«, AfD zu wählen sei »keine Notwehr, sondern ein Kopfsprung ins leere Schwimmbecken«. Die Verachtung ist schwer zu überhören. Die Leute wissen schließlich, was sie tun, oder?

Dann darf sich die Linkspartei wohl von Menschen, die heute AfD wählen, nichts weniger als befreit fühlen. Das ähnelt dem Argument, es gehe auch insgesamt ja nur um ein Drittel der Wähler, die AfD wählten, zwei Drittel täten das gar nicht. Offenbar ist man bereit zur Preisgabe - wohl auch des Ostens samt seiner unappetitlichen Bewohner.

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Hier spätestens stellt sich heraus, dass die LINKE ihren Kompass verloren hat. Partei für alle Menschen zu sein, die wegen ihrer sozialen Stellung benachteiligt sind - so beschreibt Bartsch die sinnstiftende Mission der Linkspartei. Hinzu kommen ihre systemkritische Perspektive und ihre besondere Ostverantwortung. Partei für Menschen sein, die sie brauchen, nicht unbedingt für Menschen, die ihr sympathisch sind. Die LINKE hat, schon als PDS, davon profitiert, dass Menschen auch ohne sozialistische Ambitionen ihre Unzufriedenheit mit dem real existierenden System auf eine sich als sozialistisch definierende Partei projizierten. »Wähler suchen das Äquivalent zur eigenen Befindlichkeit«, erklärt Wolfgang Schroeder im nd-Interview. Wenn die AfD die Rolle als Protestpartei im Osten übernimmt, stelle das die Bedeutung der LINKEN »hart in Frage«. Die LINKE leide unter einer funktionalen Fehlorientierung, schlussfolgert der Politikwissenschaftler, der sich gründlich mit der AfD und ihrem Wählerpotenzial beschäftigt hat.

Doch wo bleibt sonst die glaubwürdige Abgrenzung der LINKEN gegen rechts? Die Debatte über Zuwanderung ist nicht abgeschlossen; eng verknüpft ist sie mit einer über die nationale Frage. Kritiker der AfD verlegen sich gern darauf, die Realität des Protestwählers selbst in Frage zu stellen. Mit der »rechten Gesinnung« abtrünniger Wähler kann man den Bedeutungsverlust der Linkspartei aber nicht relativieren. Zu konstatieren wäre dann, dass sich Parteien ungestraft von Teilen ihrer Wählerschaft abwenden können. Dass dies nicht gut ausgeht, zeigen die Ergebnisse der Wahl vor einer Woche.

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