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Der weite Weg zur Unabhängigkeit

Schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon will ein zweites Referendum

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 3 Min.

Vor genau fünf Jahren haben die schottischen Nationalisten eine schwere Niederlage erlitten. Bei einem Referendum stimmte eine knappe Mehrheit der Bevölkerung gegen den Austritt aus dem Vereinigten Königreich. Doch schon im nächsten Jahr will es die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon noch einmal probieren. »Viele Menschen haben inzwischen eine andere Meinung und die politischen Umstände haben sich geändert«, sagte die Chefin der Schottischen Nationapartei (SNP) am Mittwoch bei einem Besuch in Berlin.

Anders als die Engländer haben die Schotten bei der Abstimmung über den Brexit vor drei Jahren mehrheitlich für einen Verbleib in der EU gestimmt. Diese Position vertritt auch die SNP. Seitdem Boris Johnson von den konservativen Tories die Regierungsgeschäfte in London übernommen hat, hofft Sturgeon, dass die Sympathien für ihr Anliegen in Schottland wachsen. Denn Johnson droht mit einem Brexit ohne Abkommen Ende Oktober, wenn es bis dahin keine Einigung mit der EU geben sollte. »Ein solcher Schritt würde unsere Wirtschaft und unsere Kommunen schädigen«, erklärte Sturgeon. Sie werde alles tun, um dies zu verhindern.

Die Regierungschefin ist auch deswegen in Deutschland, um mit Unternehmensvertretern über eine Stärkung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Schottland und der Bundesrepublik zu reden. Im Jahr 2017 war Deutschland für Schottland der viertgrößte Exportmarkt. Die Ausfuhren in die Bundesrepublik betrugen 7,2 Prozent der gesamten schottischen Exporte. Wenn das Vereinigte Königreich den gemeinsamen Binnenmarkt und die Zollunion verlassen sollte, dürfte dies negative Auswirkungen auf den Handel mit den anderen EU-Staaten haben.

Doch für Sturgeon wird es nicht leicht, ihre Unabhängigkeitspläne umzusetzen. Denn noch ist fraglich, ob sie bald die Mehrheit der Schotten überzeugen kann. Offen ist ebenfalls, ob Spanien einer möglichen Aufnahme Schottlands in die EU zustimmen würde oder die Regierung in Madrid, die sich im eigenen Land gegen eine Abspaltung Kataloniens wehrt, einen Präzedenzfall befürchtet. Der sozialdemokratische Außenminister Josep Borrell, der bald neuer EU-Außenbeauftragter werden soll, hatte im vergangenen Jahr erklärt, er habe keine Einwände gegen ein unabhängiges Schottland in der Europäischen Union, solange die Sezession vom Vereinigten Königreich legal ablaufe. Die britische Regierung müsste einem erneuten Referendum zustimmen.

Zugleich bereiten sich die schottischen Nationalisten auf mögliche Neuwahlen im Vereinigten Königreich vor. Denn Johnson hat im Parlament keine Mehrheit mehr. Eine Koalition will Sturgeon im Unterhaus nicht eingehen, aber mit anderen »EU-freundlichen Parteien zusammenarbeiten«. Die SNP stellt derzeit 35 Abgeordnete. Gemeinsam mit anderen Oppositionsparteien stimmten die Schotten kürzlich für ein Gesetz, das Johnson dazu zwingen soll, bei der EU um eine Verlängerung der Frist für den Brexit zu bitten, wenn es bis Ende Oktober keine Einigung über ein Abkommen gibt.

Um das Parlament vorübergehend auszuschalten, hat Johnson die Abgeordneten mittlerweile in einen fünfwöchigen Zwangsurlaub geschickt. »Es kann nicht sein, dass eine Exekutive in einer Demokratie das Parlament schließt«, kritisierte Sturgeon. Sie sieht nun mit großem Interesse auf den britischen Supreme Court in London. Dieser wird in den nächsten Tagen als letzte Instanz darüber entscheiden, ob Johnsons Vorgehen rechtmäßig ist. Die obersten Gerichte von England und Nordirland hatten die Klagen abgelehnt. Es handele sich nämlich um eine politische Auseinandersetzung. Das Gericht in Schottland hatte den Klägern hingegen Recht gegeben.

Am Dienstagabend erhielt Sturgeon in Potsdam den Medienpreis M100. Die Jury, in der vor allem Medienvertreter und Politiker aus dem liberalen, konservativen und rechten Spektrum sitzen, darunter der frühere »Bild«-Chef Kai Diekmann und »Weltwoche«-Chefredakteur Roger Köppel, zeichnete Sturgeon wegen ihres »Engagements für den Zusammenhalt der EU« aus.

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