Vor Besetzungen droht die Vertreibung

Deutsche Bahn will den von DieselA in Beschlag genommenen Wagenplatz in Berlin-Marzahn räumen lassen

  • Marie Frank
  • Lesedauer: 4 Min.

Auf dem Boden vor dem Zaun des besetzten Wagenplatzes in Berlin-Marzahn sitzen am Donnerstagmittag rund ein Dutzend Menschen in der warmen Herbstsonne und rauchen. Aus den Boxen dröhnt Punkmusik, die Stimmung ist entspannt. Zumindest heute werden die Aktivist*innen der Gruppe »DieselA«, die das Gelände seit dem vergangenen Wochenende besetzt halten, wohl noch bleiben können. Geht es nach der Deutschen Bahn, der das Grundstück »An der Alten Börse« unweit der Bahngleise gehört, soll das jedoch nicht so bleiben.

Einen Tag zuvor hatten die Besetzer*innen von DB Immobilien eine Beräumungsaufforderung erhalten, in der ihnen mitgeteilt wurde, dass sie die Fläche »unverzüglich, jedoch innerhalb von 24 Stunden« räumen sollen. »Kommen Sie dieser Aufforderung nicht nach, werden wir eine Räumung der Fläche ohne weitere Aufforderung durchführen«, heißt es in dem Schreiben. Die Bewohner*innen des Wagenplatzes, die nach eigenen Angaben seit der Besetzung das Gespräch mit der DB suchen, um über die künftige Nutzung des Geländes zu verhandeln, denken jedoch nicht daran, ihr neues Zuhause zu verlassen: »Wir werden bleiben!«, ließ DieselA daraufhin am Mittwoch über Twitter verlauten und rief für Donnerstag zur Unterstützung der Besetzung auf.

Rund 50 Leute würden sich derzeit auf dem Wagenplatz aufhalten, erzählen die beiden Sprecherinnen der Besetzer*innengruppe, Paula Nova und Anna Kante, dem »nd«. Zehn Bauwagen sollen dort insgesamt stehen. Durch den hohen Zaun mit den vielen Bannern und den Holzplatten, auf die jemand »Hier, um zu bleiben« gesprüht hat, ist nicht viel zu erkennen. Reinlassen wollen die Besetzer*innen an diesem Tag niemanden, »zu gefährlich« heißt es. Lediglich die Bauarbeiter der Deutschen Bahn dürfen die Absperrung passieren. »Die sind uns gegenüber positiv eingestellt. Solange wir hier sind, kommen ihre Maschinen wenigstens nicht weg«, sagt Paula Nova. Auch der Sicherheitsdienst der Deutschen Bahn ist mit zwei Fahrzeugen vor Ort, rührt sich aber nicht. Von der Polizei ist, bis auf ein Zivilfahrzeug auf der anderen Straßenseite, weit und breit nichts zu sehen.

Dass die Bahn direkt mit einer Räumung droht, statt mit ihnen zu verhandeln, können die Besetzer*innen von DieselA, die zuvor ein Gelände an der Rummelsburger Bucht besetzt hatten, nicht verstehen. »Das Gelände steht seit Jahrzehnten leer und darf nicht bebaut werden. Es eignet sich perfekt für einen Wagenplatz«, sagt Anna Kante. Von den Nachbar*innen gebe es nur positive Reaktionen und auch von Bezirkspolitiker*innen von Grünen, SPD und LINKE gebe es viel Unterstützung. »Eigentlich wollten wir am Sonntag einen Tag der offenen Tür für die Nachbarn machen, aber daraus wird jetzt wohl nichts«, sagt Paula Nova bedauernd.

Auch Bjoern Tielebein, der für die LINKE in der Bezirksverordnetenversammlung Marzahn-Hellersdorf sitzt, ist am Donnerstag zum Wagenplatz gekommen, um die Besetzer*innen zu unterstützen. »Das Gelände liegt brach und wird nicht genutzt, es wäre daher vernünftig, mit der Gruppe über dessen langfristige Nutzung zu verhandeln«, sagt er. Dazu scheint die Bahn derzeit jedoch nicht bereit. »Wir machen von unserem Hausrecht Gebrauch. Eine Anzeige wurde versandt, Strafantrag wird gestellt«, so ein Bahnsprecher zu »nd«. Die Landespolizei werde daher »in nächster Zeit eine Räumung durchführen«.

Soweit wollen es die Besetzer*innen nicht kommen lassen. Sie haben die Hoffnung, die Räumung noch aufhalten und auf dem Gelände bleiben zu können, noch nicht aufgegeben. Schließlich haben sie endlich einen Ort gefunden, an dem sie sich ein dauerhaftes Zuhause aufbauen könnten. »Wir haben den Wunsch nach einem kollektiven Projekt, aber auch nach Sicherheit«, sagt Anna Kante. Viele hätten vorher mit ihren Wagen an der Straße gewohnt und wüssten nicht, wohin sie sonst gehen sollen. »Auch im Falle einer Räumung sind diese Leute ja nicht weg.«

Es geht DieselA jedoch nicht nur ums Wohnen, sondern auch um eine radikale Kritik der bestehenden Verhältnisse. »Die Wagenkultur gehört zu Berlin. Es ist eine kollektive, ökologische und unkommerzielle Wohnform, die jedoch von der kapitalistischen Stadtentwicklung zunehmend verdrängt wird«, sagt Anna Kante. Für die beiden jungen Frauen sind Besetzungen daher »ein legitimes Mittel, um sich gegen Verdrängung zu wehren.«

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