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Attacke auf die Selbstverwaltung

Gesetzliche Krankenversicherungen wehren sich: Ehrenamtliche Versichertenvertreter erhalten

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.

Zum ersten Mal seit der Gründung des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-SV) 2007 hat die Organisation am Donnerstag in Berlin eine außerordentliche Mitgliederversammlung einberufen. Anlass sind Gesetzespläne von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), in denen Kassenvertreter einen Angriff auf die soziale Selbstverwaltung sehen. Sie befürchten eine Schwächung der demokratischen Legitimation des Gesundheitssystems.

Das Merkmal der sozialen Selbstverwaltung bekam das hierzulande etablierte System Ende des 19. Jahrhunderts mit den Bismarckschen Sozialversicherungen in die Wiege gelegt. Heute spiegelt sich das Prinzip in den Sozialwahlen bei den gesetzlichen Krankenversicherungen wieder. Sie sind nicht unbedingt der Aufreger, der Beitragszahler in Massen aktiviert, über ihre Vertretung in den Verwaltungsräten der einzelnen Kassen zu entscheiden. Diese Ehrenamtlichen wählen am Ende den Verwaltungsrat des GKV-SV. Damit sitzen dort dann Vertreter von Arbeitnehmern und Arbeitgebern mit am Tisch. Mit Spahns Entwurf zum »Faire-Kassen-Wahl-Gesetz« (GKV-FKG) soll dieses Verfahren abgeschafft werden. Der Verwaltungsrat des Spitzenverbandes soll mit hauptamtlichen Kassenvertretern besetzt werden.

Von Kassenvertretern, Gewerkschaften und selbst aus dem Arbeitgeberlager ist nun zu hören, dass ohne Not die Axt an das soziale Sicherungssystem gelegt wird. Als Argument für die soziale Selbstverwaltung bringt Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, unter anderem die Nähe zu Versicherten und Patienten zur Sprache.

Die von Minister Spahn angestrebte »Professionalisierung« des Verwaltungsrates ist aus ihrer Sicht unnötig, weil das Gremium, das viermal im Jahr zusammentritt, bereits hochprofessionell arbeite. Es habe in den zwölf Jahren seines Bestehens 30 Positionspapiere vorgelegt und unzählige Entscheidungen für die 73 Millionen gesetzlich Versicherten getroffen.

Die Besetzung des SV-Verwaltungsrates durch hauptamtliche Vorstandsmitglieder der Mitgliedskassen sei auch juristisch fragwürdig, erklärte Peter Axer auf der Mitgliederversammlung in Berlin. Der Sozialrechtler von der Universität Heidelberg verwies auf den absehbaren Interessenkonflikt der hauptamtlichen Vorstände in dem geplanten neuen Verwaltungsrat des Spitzenverbandes. Axer ging in seinem Vortrag auf weitere Elemente der aktuellen Gesundheitspolitik ein, die auch der gemeinsamen Selbstverwaltung im Gesundheitssystem Steine in den Weg legten. Immer mehr Regelungsmöglichkeiten würden dieser entzogen, unter anderem durch Rechtsverordnungen, die äußerst detailliert ausfielen. Die Gefahr bestehe, dass auf diesem Weg das Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebot unterlaufen wird - der Gemeinsame Bundesausschuss der Akteure im Gesundheitswesen ist diesen Prinzipien unterworfen. Der Angriff auf die soziale Selbstverwaltung erstreckt sich nach Auffassung der GKV auch auf das Gesetz zur Neuordnung der Medizinischen Dienste. Sie sollen unabhängig von den Kassen werden, dafür würden die Erbringer von Leistungen (darunter Ärzte) in den Verwaltungsrat auf Bundesebene einziehen. Doris Pfeiffer sieht auf diesem Weg die Unabhängigkeit der Dienste und des geplanten Medizinischen Dienstes Bund eher geschwächt. Auch seien die Gutachter jetzt schon unabhängig von den Kassen. Sie sorgten dafür, dass alle Versicherten nach objektiven medizinischen Kriterien Leistungen erhalten.

Der Spitzenverband warnt auch vor den Folgen der Gesetzespläne für weitere Institutionen des Gesundheitssystems. Genannt werden der Gemeinsame Bundesausschuss der Kassen und der medizinischen Leistungserbringer, das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, das Institut für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen sowie die Gematik. Letztere, beauftragt mit grundsätzlichen Digitalisierungslösungen, darunter der elektronischen Gesundheitskarte, ist nach einer neuen Gesellschafterstruktur zu einer staatlichen Behörde geworden, die aus Beitragsgeldern der Versicherten finanziert werde, kritisiert Pfeiffer.

Der Entwurf Spahns für das »Faire-Kassen-Wahl-Gesetz« liegt schon seit dem Frühjahr vor, ist aber auch wegen anderer Punkte in der Koalition umstritten, darunter die bundesweite Öffnung bislang regional tätiger Kassen.

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