• Berlin
  • »Tu Mal Wat-Aktionstage«

Per Schnitzeljagd zur Besetzung

Im Rahmen der »Tu Mal Wat-Aktionstage« okkupierten Aktivisten zwei leerstehende Häuser

  • Marie Frank
  • Lesedauer: 4 Min.

Es beginnt wie ein Spiel. Los geht es Samstagnachmittag bei den von besetzen in Berlin angemeldeten öffentlichen Treffpunkten. Dort erhält man einen Hinweis auf die nächste Station, wo man wiederum den nächsten Hinweis bekommt - etwa im Park die Person mit der roten Mütze oder die drei Kartenspieler am Alexanderplatz zu fragen. Am Ende führt die Schnitzeljagd nach Lichtenberg zu einem leerstehenden Haus in der Frankfurter Allee 187, das an diesem Tag besetzt werden soll. Seit

14 Uhr bereiten die Aktivist*innen hier die Besetzung vor. In aller Ruhe sammeln sie auf dem Hinterhof Lattenroste, Pflanzen und Mülltonnen ein, um damit die Eingänge zu verbarrikadieren. Nach und nach treffen immer mehr Leute von den Treffpunkten ein, von der Polizei ist weit und breit nichts zu sehen.

Die ist derweil in Friedrichshain an der Landsberger Allee beschäftigt, wo eine andere Gruppe ein leerstehendes Brauereigebäude besetzt hat. Gegen Mittag waren die Besetzer*innen in das Gebäude eingedrungen und hatten sich zum Teil mit Seilen an der Fassade festgemacht. Im Rahmen der »Tu Mal Wat«-Aktionstage, die in Berlin von Donnerstag bis Sonntag stattfanden, wollen die Aktivist*innen mit der Besetzung nach eigenen Angaben gegen spekulativen Leerstand und Verdrängung protestieren und einen hierarchiefreien Ort und Schutzraum für verfolgte und diskriminierte Minderheiten schaffen. Rund hundert Menschen hatten sich vor dem Gebäude zur Unterstützung eingefunden, bis die Polizei am Abend nach Rücksprache mit dem Besitzer räumte und 14 Personen festnahm.

In Lichtenberg sind die Vorbereitungen derweil nach rund anderthalb Stunden abgeschlossen und die Zugänge zum Haus mit zwei Blockaden versperrt. Als die Besetzung gegen 15.30 Uhr öffentlich gemacht wird, haben sich trotz des Regens mittlerweile rund 150 Unterstützer*innen eingefunden, die den vermummten Besetzer*innen auf dem Balkon und an den Fenstern laut zujubeln. Es werden Banner mit der Aufschrift »besetzen« und »Gegen Staat und Mietvertrag« und Luftballons aus den Fenstern gehängt und Pyrotechnik gezündet. Als die Polizei rund 20 Minuten später eintrifft und das Gelände abriegelt, ist es längst zu spät. Sogar ein Infostand wurde bereits aufgebaut, auf dem die Besetzer*innen mit Flyern über ihre Pläne für das Gebäude informieren.

»Es ist erstaunlich gut gelaufen und es sind unglaublich viele Leute gekommen«, freut sich Luca Wilmers von der Initiative besetzen. »Das Haus auf dem ehemaligen Stasigelände steht seit der Wende durchgehend leer. Wir haben ganz viele Ideen, was wir damit machen wollen, haben aber bewusst kein fertiges Konzept entwickelt, weil wir das zusammen mit den Anwohner*innen besprechen wollen.« Klar sei jedoch, dass hier ein selbstverwaltetes und unkommerzielles soziales Zentrum entstehen soll, so die Besetzerin. Da das Gelände der landeseigenen Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) gehört, hoffen sie auf Verhandlungen mit dem rot-rot-grünen Senat. »Wir wollen auf jeden Fall bleiben«, sagt Luca Wilmers dem »nd«.

Es geht den Aktivist*innen jedoch nicht nur um das Haus: »Wir wollen damit auch auf den Mietenwahnsinn in der Stadt aufmerksam machen. In Berlin gibt es Zehntausende Wohnungslose, trotzdem steht dieses Gebäude seit den 1990er Jahren leer«, kritisiert Wilmers. Täglich würden Menschen in Berlin zwangsgeräumt und viele linke Projekte seien in ihrer Existenz bedroht. Mit der Besetzung wollen die Aktivist*innen zeigen, dass sie diese Verdrängungsprozesse nicht widerstandslos hinnehmen. »Die realpolitischen Veränderungen der letzten Monate wie der Mietendeckel wären ohne die mietenpolitischen Kämpfe von unten nicht möglich gewesen«, sagt Wilmers. »Für uns sind das jedoch nur Symptombekämpfungen. Wir wollen radikalere Lösungen.«

Während die Zahl der Unterstützer*innen im Laufe des Abends auf den rund um die Polizeiabsperrung angemeldeten Kundgebungen immer größer wird, laufen die Verhandlungen auf Hochtouren. Auch Kultursenator Klaus Lederer (LINKE), dessen Verwaltung für das Gebäude zuständig ist, schaltet sich per Twitter ein. Den Vorwurf, er verschleppe seit Jahren den Bau der dort geplanten Künstler*innenateliers, lässt er nicht gelten: »Die Senatsverwaltung für Kultur und Europa würde sofort Kunsträume daraus machen«, so Lederer. Das Abgeordnetenhaus habe jedoch beschlossen, das Gelände an den Bund zu übergeben. »Dort soll ein neuer Standort des Bundesarchivs entstehen.«

Spät in der Nacht kommt schließlich Bewegung in die Verhandlungen zwischen den Besetzer*innen und dem Geschäftsführer der BIM, bei denen auch die stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Katalin Gennburg, dabei ist. Das Angebot der BIM: Bis Sonntag 15 Uhr wird nicht geräumt, und wenn die Besetzer*innen das Gebäude bis dahin freiwillig verlassen, soll es in den kommenden Tagen Gespräche über eine mögliche Zwischennutzung geben.

Gegen ein Uhr verlassen die rund 80 Besetzer*innen das Haus ohne weitere Zwischenfälle. Die Polizei, die an diesem Tag nach eigenen Angaben mit 950 Polizisten sowie einem Polizeihubschrauber im Einsatz war, muss die Besetzer*innen unerkannt ziehen lassen. Die gehen zumindest nicht mit leeren Händen: »Eine Verhandlung über eine Zwischennutzung ist auf dem Weg«, so Gennburg.

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