Morden mit Profit

Das KZ Sachsenhausen war in Oranienburg als Wirtschaftsfaktor willkommen.

Und so fuhren wir am 24. April abends mit 1000 Liter guter Erbsensuppe mit Speck nach Oranienburg und verteilten sie dort«, berichtete der gerade erst von polnischen und sowjetischen Truppen aus dem KZ Sachsenhausen befreite Werner Rosenbaum wenige Tage später im Jahr 1945. »Man kann sagen, dass dies der hungernden Bevölkerung sehr willkommen war.«

Rosenbaum und seine Kameraden klären die Bürger der Stadt, als sie das Essen aus den Reserven der SS verteilen, über die Geschehnisse im Lager auf. Diese haben angeblich nichts davon gewusst - und wollen auch jetzt nichts wissen. Nur wenige folgen der Einladung, sich auf dem Gelände umzusehen. So ahnungslos, wie die Einwohner von Oranienburg taten, können sie aber nicht gewesen sein. Das Lager gehörte seit 1937 zum Alltag. Anfangs war das Gelände nur von Stacheldraht umgeben und gut einzusehen. Aber auch nachdem die Lagermauer errichtet war, konnten Anwohner aus dem ersten Stock ihrer Häuser noch gut beobachten, was im KZ vor sich ging. Die Häftlinge trafen meist mit Zügen an den Bahnhöfen Oranienburg und Sachsenhausen ein und wurden zu Fuß durch die Straßen getrieben. Das Musikkorps der SS veranstaltete öffentliche Konzerte und Tanzabende. Handball- und Fußballmannschaften der Wachtruppe spielten gegen Sportvereine.

Außerdem stellte das KZ Häftlinge als Arbeitskräfte für kommunale Bauprojekte zur Verfügung. Einmal, bei Ausschachtarbeiten für die Kanalisation im Herbst 1941, geriet der hinzukommende Rapportführer Gustav Sorge in Wut, weil zwei polnische Häftlinge keine Notiz von ihm nahmen. Sorge diente sich bei der SS bis zum Hauptscharführer hoch und bekam wegen seiner besonderen Brutalität den Spitznamen »Eiserner Gustav« verpasst. Im KZ prügelte er Menschen mit Fausthieben und Fußtritten tot. Hier jedoch zog er erbost seine Pistole und schoss. Ein Pole stürzte tödlich getroffen. Die Leiche blieb auf dem Bürgersteig liegen, bis das Arbeitskommando abends ins Lager einrückte. Sie wurde nicht einmal abgedeckt. Passanten liefen über Stunden hinweg wortlos vorbei, als würden sie nichts sehen.

Frédéric Bonnesoeur schildert diesen Vorfall in seinem Buch »Im guten Einvernehmen«. Er hat die Wechselbeziehungen zwischen der Stadt Oranienburg und ihrer Bevölkerung mit dem frühen KZ Oranienburg (1933 bis 1934) und dem späteren KZ Sachsenhausen (ab 1937) untersucht.

Oranienburg war in der Weimarer Republik vom Arbeitermilieu geprägt. Es war keine Hochburg der NSDAP. Bei Wahlen erzielten SPD und KPD zusammen mehr Stimmen als die Faschisten. Am 30. Januar 1933 glaubten die NSDAP-Ortsgruppe und die SA, nun könne ihnen auch in Oranienburg niemand mehr etwas anhaben. Mit einem Marsch durch die Stadt wollten sie feiern, dass Reichpräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt hatte. Doch unterwegs kam es zu Zusammenstößen mit Kommunisten mit Verletzten auf beiden Seiten. Der Marsch musste abgebrochen werden.

Doch das Blatt wendete sich. Der hiesige Sturmbann III der SA-Standarte 208 verschleppte in der Nacht zum 21. März 40 Kommunisten auf das Gelände einer alten Brauerei und eröffnete dort das erste Konzentrationslager in Preußen. Bis zur Schließung 1934 wurden dort insgesamt 3000 Menschen festgehalten und gequält, der jüngste von ihnen ein gerade erst 13 Jahre alter Junge aus einem jüdischen Waisenhaus. Es gab mindestens 16 Todesopfer, darunter der anarchistische Schriftsteller Erich Mühsam. Das ließ sich nicht verheimlichen und erregte Aufsehen in der internationalen Presse. Dem versuchte die SA mit Propagandaführungen zu begegnen, zu denen auch Bürgermeister Walther Heinn erschien und mit den Journalisten sprach, um ihnen Sand in die Augen zu streuen.

Die Stadt begrüßte das KZ mit seiner bis zu 196 Männer starken SA-Truppe als Wirtschaftsfaktor. Das Rathaus gewährte ein Darlehn zur Anschaffung von Schlafpritschen, und stellte Büromöbel und von der Ortspolizei beschlagnahmte Waffen kostenlos zur Verfügung. Die Stadtsparkasse gewährte 7000 Reichsmark Kredit und wickelte über ein Konto die Bezahlung von Lieferanten ab. Auch ein Möbelhaus verdiente mit, wenn es Lastwagen aus seinem Fuhrpark für Massenverhaftungen fahren ließ. Mehr als 40 ortsansässige Firmen profitierten. Doch nicht alle waren immer zufrieden. Ein Baustofflieferant beschwerte sich über schlechte Zahlungsmoral, und Bäcker rügten eifersüchtig, dass Brot in einem Fall von Vetternwirtschaft anders als abgesprochen aus Berlin bezogen wurde.

Auch das spätere KZ Sachsenhausen hätte, obwohl die SS von einem autarken Lager träumte, ohne fremde Hilfe nicht bestehen können. Architekt Bernhard Kuiper verhandelte nach eigenen Angaben mit etwa 135 Firmen. Zwei Druckereien lieferten Vordrucke für Todesmeldungen und mussten so Bescheid wissen über das Ausmaß des Sterbens unter den insgesamt 200 000 Häftlingen. Nicht zu übersehen waren im Herbst 1941 der weiße Rauch und der süßliche Geruch aus den Krematoriumsöfen, als die SS 10 000 sowjetische Kriegsgefangene ermordete. Es gab Frauen, die den zu Arbeitseinsätzen in der Rüstungsindustrie vorbeiziehenden KZ-Häftlingen Butterbrote zusteckten, aber auch Kinder, die mit Steinen warfen. Zwar gab es betrunkene SS-Männer, die Mädchen am Lehnitzsee und Fahrgäste in der S-Bahn belästigten. Charakteristisch ist aber wohl, wie sich Standartenführer Otto Reich im November 1938 aus Oranienburg verabschiedete, als er nach Linz versetzt wurde: »Ich danke dem Bürgermeister und allen Dienststellen der Bewegung für das gute Einvernehmen mit der SS.« Dieses gute Einvernehmen begünstigte die Verbrechen.

Frédéric Bonnesoeur: »Im guten Einvernehmen. Die Stadt Oranienburg und die Konzentrationslager Oranienburg und Sachsenhausen 1933-1945«, Metropol, 184 Seiten, 16 Euro.

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