Laufen und Kaugummi kauen

Warum ein Amtsenthebungsverfahren den Demokraten nicht schaden wird

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 5 Min.

Bis vor kurzem war es gängige Meinung, dass ein Amtsenthebungsverfahren (Impeachment) gegen den US-Präsidenten Donald Trump den Demokraten schaden und den Republikanern beziehungsweise Trump nutzen würde. Doch die Zeiten haben sich geändert.

Tatsächlich war bis vor zwei Wochen eine Mehrheit der Amerikaner gegen ein Amtsenthebungsverfahren. Das Lager der Impeachment-Gegner hatte je nach Umfrage einen Vorsprung von bis zu 18 Prozentpunkten. Die Demokraten waren zerstritten, sendeten unterschiedliche Signale: Einerseits verurteilten sie wortreich die Vergehen des Präsidenten, etwa bei der Russland-Affäre. Anderseits zögerten sie beim Vorgehen, etwa bei der Zeugenvorladung oder wenn sie Trumps Steuererklärung nicht anfordern, obwohl die Gesetzeslage dies erlaubt. Doch in den letzten Tagen haben sich die Dinge grundsätzlich geändert.

Erstens: Während sich die die Vorwürfe russischer Einflussnahme auf die Wahlen 2016 auf die Vergangenheit bezogen, betreffen die Vorwürfe um das Telefonat mit dem ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj den aktuellen Präsidentschaftswahlkampf und damit die Zukunft.

Zweitens: Die aktuellen Vorwürfen sind relativ einfach zu überblicken. Anders als bei den Ermittlungen über einen mögliche russische Einflussnahme bei den 2016, die nur noch spezialisierte Journalisten und Außenpolitikexperten überblickt haben. Jeder Amerikaner, der einmal Mafia-Filme gesehen hat, versteht, was »ich will, dass du mir einen Gefallen tust« bedeutet. Dass der Versuch, ausländische Wahlkampfhilfe im Austausch gegen Militärhilfe zu bekommen, illegal ist, das verstehen auch Normalamerikaner wie James im Diner und Emma in der Sportsbar.

Seit die überwältigende Mehrheit der Demokraten (228 Abgeordnete im Repräsentantenhaus) sich für ein Impeachment ausgesprochen haben, seit die Parteiführung offiziell die Einleitung eines solchen verkündet hat, und seit immer genauere Belege auftauchen, hat sich die Stimmung gedreht. Das zeigen Befragungen, die in den vergangenen 14 Tagen veröffentlicht wurden. Je nach Umfrage gibt es nun eine Mehrheit von wenigen bis zehn Prozentpunkten für eine Amtsenthebung, oder zumindest für parlamentarische Untersuchungen dazu. Es ist ein Stimmungswechsel von bis zu 20 Prozentpunkten.

Dafür hat auch das Auftreten der nun nicht mehr vorsichtig und verdruckst, sondern selbstbewusst agierenden Demokraten gesorgt. Eine Umfrage der linken Aktivisten von »Data For Progress« zeigt, dass auch in Wechselwählerbezirken ein Impeachment den Demokraten zumindest nicht schaden wird. Es sind die 40 Wahlbezirke, die die Demokraten 2018 im Repräsentantenhaus zurückerobert haben. Und bei Bürgerveranstaltungen in den vor Kurzem zu Ende gegangenen Parlamentsferien hätte es nur von Trump-Unterstützern Kritik an Impeachment-Untersuchungen gegeben.

Noch gibt es keinen genauen Zeitplan für ein Impeachment, aber Aktivisten wie Michael Moore machen Druck und wollen eine Abstimmung bis Ende Oktober. Uneinigkeit gibt es darüber, ob Trump nur wegen einiger weniger exemplarischer und leicht darlegbarer Vergehen des Amtes enthoben werden soll, wie etwa seinem Vorgehen im Ukraine-Skandal, oder ob auch weitere Vorwürfe wie Bereicherung im Amt mit einbezogen werden sollen. Ersteres bevorzugen moderate Establishment-Demokraten, die Parteilinke favorisiert Letzteres.

Dass ein Impeachmentverfahren Trump nutzt, ist vor allem ein republikanischer Standpunkt und keineswegs ausgemacht. Trump erscheint so als vielleicht verrücktes, aber quasi unverwundbares Genie, für den die normalen Regeln des Politikbetriebes nicht gelten. Doch seine treue Basis alleine besteht nur aus rund 30 bis 35 Prozent der Amerikaner. Die allein reichen nicht aus, um wiedergewählt zu werden. Laut den neuesten Impeachment-Umfragen rücken wichtige Wählergruppen, die 2016 mehrheitlich für Trump stimmten, langsam vom US-Präsidenten ab - wohlhabende weiße Männer und Frauen sowie Unabhängige. Dieser Trend war schon bei den Midterm-Wahlen 2018 sichtbar.

Parteiintern stehen die Republikaner vor einem Dilemma. Die Zustimmungsraten zu Trump an der Parteibasis bewegen sich um die 90 Prozent. Hinzu kommt, dass Trump kritisch gegenüberstehende Konservative der alten Schule ihr Politikkarriere 2018 beendet haben - das Gleiche steht bei den Wahlen 2020 an. Damit wird die Partei immer mehr zur Trump-Partei, die mit Trump gewinnt oder untergeht. Lassen die Republikaner das Amtsentfernungsverfahren im Senat im Sande verlaufen, können die Demokraten dennoch Politik damit machen. Neue Wähler gewinnen die Republikaner bei den Wahlen 2020 mit sklavischer Trump-Treue vermutlich nicht, weder im allgemeinen noch in den umkämpften Senatswahlen in eher moderaten Staaten. Zumal weitere Enthüllungen zu erwarten sind.

Die Demokraten und ihre Parteilinken - viele von Letzteren wie Barbara Lee sind People of Color und gehörten zu den ersten Impeachment-Befürwortern - können zudem beides: die Amtsenthebung vorantreiben und einen sozialpolitischen Wahlkampf machen. »Wir können laufen und Kaugummi kauen«, erklärte etwa die Demokratin Ayanna Pressley.

Schon bei den Midterm-Wahlen 2018 fokussierte man sich auf die soziale Ungleichheit im Gesundheitssystem und die Verteidigung von Obamacare. »Die Republikaner wollen euch eure Gesundheitsversorgung wegnehmen« - diese Botschaft hämmerten Demokraten ganzen Land in die Köpfe der Menschen. Trotz grotesker Überberichterstattung über jedes kleinste Detail der Russland-Kontakte des Trump-Teams im Kabelfernsehen drangen die Demokraten mit ihren »Küchentisch«-Themen zum Wähler durch. Sollte das Repräsentantenhaus Trump bis Ende des Jahres des Amtes enthoben haben, können die Demokraten mit den bereits beschlossenen Gesetzen zur Mindestlohn-Erhöhung, oder zur Reduzierung der Medikamentenpreise bis zum November 2020 noch monatelang Sozialwahlkampf machen.

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