Combat-18-Prozess: Verschleppen und verharmlosen

Im Prozess vor dem Dortmunder Landgericht will die Verteidigung der vier Neonazis eine Einstellung des Verfahrens erreichen

  • Joachim F. Tornau
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Angeklagten sitzen zu Beginn des Prozesses wegen des Verstoßes gegen das Vereinigungsverbot der rechtsextremen Gruppe Combat 18 Deutschland im Dortmunder Landgericht zwischen ihren Anwälten.
Die Angeklagten sitzen zu Beginn des Prozesses wegen des Verstoßes gegen das Vereinigungsverbot der rechtsextremen Gruppe Combat 18 Deutschland im Dortmunder Landgericht zwischen ihren Anwälten.

So laut ist die Polemik, so aggressiv das Auftreten, so ungebremst die Unverschämtheiten, dass der beiläufig geäußerte Satz fast untergeht. Dabei fasst das, was Rechtsanwalt Jochen Lober sagt, die Verteidigungsstrategie perfekt zusammen, in gerade einmal vier Wörtern: »Unstrittig ist hier nichts.« Lober vertritt im Combat-18-Prozess vor dem Dortmunder Landgericht den Rechtsrockhändler Gregor Alexander M. Dem 45-Jährigen und seinen drei Gesinnungsgenossen Stanley Röske (49), Robin Schmiemann (40) und Keven L. (44) wird vorgeworfen, die militant-neonazistische Vereinigung Combat 18 Deutschland trotz des seit 2020 rechtskräftigen Verbots als Rädelsführer weiterbetrieben zu haben.

Der Ende Juni gestartete Prozess ist erst vier Verhandlungstage alt, doch schon jetzt ist offensichtlich, worauf die Verteidigung setzt: maximaler Konflikt, maximale Verunsicherung der Zeug*innen, maximales Infragestellen jedes noch so kleinen Indizes, das das Bundeskriminalamt zusammengetragen hat. Nicole Schneiders, Verteidigerin des mutmaßlichen Anführers Stanley Röske aus Eisenach und eine von vielen Szene-Anwält*innen in diesem Prozess, spricht nicht nur von »reinen Spekulationen und Mutmaßungen«, auf denen die Anklage basiere. Sie wirft einer leitenden Ermittlerin sogar »bewusste Verfälschungen« und »zielorientiert falsche Behauptungen« vor.

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Vor dem Verbot hatten sich die aus dem gesamten Bundesgebiet stammenden Mitglieder von Combat 18 Deutschland – der Name lässt sich als »Kampfgruppe Adolf Hitler« übersetzen – regelmäßig getroffen, bei vermeintlichen Geburtstagsfeiern, zu Wanderungen und »Leistungsmärschen«, bei Rechtsrock-Konzerten, zur Vernetzung mit anderen gewaltbereiten Neonazi-Organisationen. Glaubt man der Anklage, dann ging das nach dem Verbot genauso weiter. Mit denselben Personen.

Fast 20 Treffen zwischen Oktober 2020 und März 2022 hat die Bundesanwaltschaft aufgelistet. Die Staatsschutzkammer geht sie jetzt nach und nach durch. Knackpunkt: Wie lässt sich nachweisen, dass es sich tatsächlich um Zusammenkünfte der verbotenen Neonazi-Truppe handelte? Die Verteidigung behauptet, dass sich die früheren Combat-18-Aktivisten nach dem Verbot ja auch rein freundschaftlich getroffen haben könnten, sozusagen privat. Und sie versucht deshalb nach Kräften, Zweifel zu säen an der Beweiskraft der Ermittlungsergebnisse.

Da ist zum Beispiel eine Geburtstagsfeier von Stanley Röske im März 2021. In einer Spendenbox, beklebt mit dem weißen Drachen, der das Symbol von Combat 18 ist, wurde Geld für den 49-Jährigen gesammelt: Ihn erwartete damals ein Prozess wegen Verstoßes gegen das Verbot von Blood & Honour, jener Neonazi-Organisation, als deren bewaffneter Arm Combat 18 gilt. Bei einer Durchsuchung ein Jahr später stieß die Polizei auf einen Partyraum, üppig ausgestattet mit rechtsextremen Devotionalien. Partyfotos der Angeklagten zeigen über dem Tresen eine große schwarze Combat-18-Fahne, umrahmt von einer Lichterkette. Das Problem: Während der Hausdurchsuchung verschwand die Fahne, bevor sie beschlagnahmt werden konnte. »Ist ein bisschen doof gelaufen«, räumt ein BKA-Beamter ein. Zumal seine Thüringer Kolleg*innen dann auch noch notierten, dass das Banner, das sie gesehen hätten, rot gewesen sei. Ein Irrtum? Eine andere Fahne? Nein, meint die Verteidigung, es habe die Fahne gar nicht gegeben. Und die Fotos? Würden nichts beweisen. Die Aufnahmedaten könnten ja verändert worden sein, die Bilder also aus der Zeit vor dem Verbot stammen.

Stundenlang befragen die Verteidiger*innen den Ermittler zu diesem Treffen, immer abseitiger werden ihre Fragen, immer verständnisloser wird der Zeuge. »Ich versuche, die Frage so zu stellen, dass auch Sie sie verstehen können«, sagt Rechtsanwalt Lober irgendwann, die Stimme triefend vor Herablassung. Es ist nicht die erste Respektlosigkeit, die das Gericht dem Kölner Anwalt kommentarlos durchgehen lässt.

Verschleppen und verharmlosen lautet die Strategie. So langsam geht es voran, dass das Gericht schon jetzt eine Verlängerung des Prozesses über das eigentlich für September geplante Ende hinaus in Aussicht stellt. Was sie mit ihrer Strategie erreichen wollen, verkünden die Verteidiger*innen ganz offen: die Einstellung des Verfahrens. »Ich habe Bedenken, ob man so ein Verfahren so lange führen muss«, sagt Schneiders. Ihr Kollege Alexander Heinig, der den aus Dortmund stammenden Robin Schmiemann vertritt, wird noch deutlicher: »Man sollte überlegen, ob wir für diesen Unsinn weiter Ressourcen verschwenden wollen.« Den Prozess mutwillig in die Länge zu ziehen, um die Bereitschaft für verfahrensverkürzende Absprachen zu erhöhen: Oberstaatsanwältin Juliane Rein findet das ein reichlich durchsichtiges Manöver. »Ich will nicht das Wort ›Erpressung‹ in den Mund nehmen«, sagt sie. Aber: »Bei schweigenden Angeklagten und dem bisher an den Tag gelegten Verteidigungsverhalten hält sich mein Interesse an einem Rechtsgespräch in Grenzen.« In zwei Wochen geht es weiter.

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