Spring doch, Katze!

Das Familiendrama »Die Katze auf dem heißen Blechdach« bleibt in Potsdam trotz rasanter Dialoge im Modus des Nachspielens.

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.

Dies ist ein Stück über Lebenslügen. So heißt es zumindest. Aber kennt denn jemand die Wahrheit über das gelebte Leben, sein eigenes oder das eines anderen? Eine kleine Wahrheit unter vielen anderen Wahrheiten, das vielleicht, aber die eine einzige große Wahrheit - ist die nicht auch schon wieder eine Lüge?

Steffi Kühnert inszeniert Tennessee Williams Erfolgsstück, das 1955 in New York in der Regie von Elia Kazan Premiere hatte, am Hans Otto Theater in Potsdam. Da versammelt sich in der Südstaaten-Sommerschwüle im Hause von Big Daddy (Jörg Dathe) die ganze gierige Familie. Big Daddy, der millionenschwere Patriarch hat Geburtstag - alle (außer ihm selbst) wissen: es wird sein letzter sein, denn er ist todkrank. Man plant bereits die Verteilung des Erbes, als wäre Big Daddy schon gar nicht mehr da.

Das ist die äußere Szenerie der Familie. Gooper (Jan Hallmann), der erste Sohn Big Daddys und seine Frau, die schrille Provinzmegäre Mae (Elzemarieke de Vos), geht es bereits ums Erbe, das sie bedroht sehen, denn Big Daddy liebt seinen zweiten Sohn, den in haltlosem Selbsthass versinkenden Brick mehr als den strebsamen Erstgeborenen, der Anwalt geworden ist. Das Leben bleibt ungerecht, denn Gooper hat gar nichts Unrechtes getan. Dennoch wird ihm im Herzen des Vaters bloß einen Platz in den hinteren Reihen zugewiesen. Auch geht Big Daddy die penetrante Fruchtbarkeit dieser Musterfamilie mit ihren vielen Kindern, die er nur »halslose Monster« nennt, auf die Nerven.

Seltsam, wie stark sich gerade die 1958er Verfilmung von »Die Katze auf dem heißen Blechdach« in der Regie von Richard Brooks - mit Paul Newman und Elisabeth Taylor - in unser kollektives Bildgedächtnis eingeprägt hat. Obwohl uns Südstaaten-Familienstreitigkeiten eigentlich nicht so nahe gehen sollten. Aber hier ist das etwas anderes: Brick, der zweite Sohn von Big Daddy, ein trunksüchtiger ehemaliger Sportler und seine Frau Maggie erscheinen auf den ersten Blick wie das ideale Paar. Aber diese äußerlich so attraktiv wirkenden Menschen sind zwei Ertrinkende, die sich nicht retten können - nicht sich selbst und erst recht nicht den anderen. Denn alle (sexuelle!) Energie zwischen ihnen kehrt sich in etwas Zerstörerisches um.

Diesem elementaren Kampf zweier Menschen zuzusehen, die von ihren Dämonen bis zum Äußersten getrieben werden, all die Verletzungen, die sie sich gegenseitig beibringen, mit anzusehen, hat etwas schockierend Ungeschütztes. Vor 60 Jahren, als man die Zensur in Hollywood, den »Production Code«, noch einmal verschärfte, war solcherart Geschlechterkampf ein unerhörter Skandal. Zumal es hier die Frau ist, die ihren sich ihr entziehenden Mann mit aller Macht gefügig machen will. Aber Paul Newman widersteht unglaublicherweise Elisabeth Taylor, denn er hält sie für die Schuldige am Tod seines Freundes Skipper. Doch insgeheim weiß er um seine eigene Mitschuld daran. Ist er homosexuell? Diese Vermutung hat etwas für die 50er Jahre so Unerhörtes, das schon die Andeutung allein gefährlich schien. Im Film kommt diese Facette darum wegen der Zensur kaum zur Geltung - weshalb Tennessee Williams sich als Autor verraten fühlte und vom Kinobesuch abriet.

Für die Potsdamer Inszenierung hat Joachim Hamster Damm eine Bühne gebaut, die die Repräsentation einer Südstaaten-Villa mit der Transparenz eines Funktionsbaues verbindet. Es dominiert eine breite Glasfront, die mitten durch die Familie hindurch zu gehen scheint. Man lebt in Sichtweite, aber ohne echte Berührung. Die Mauern zwischen ihnen sind durchsichtig, aber darum nicht weniger trennend. Vorn, kurz vor den ersten Zuschauerreihen verläuft ein Schilfgürtel: Vorsicht Sumpf!

Das ist Steffi Kühnerts Inszenierungsansatz, der - im Sinne von Tennessee Williams - eine vorsichtige Aktualisierung birgt: »Das Leben ist Kannibalismus.« Die völlige Durchökonomisierung des Lebens auf der einen Seite, die Rebellion der Outsider dagegen auf der anderen.

Ein Einbruch des Schicksals in all die Ausrechenbarkeiten des bürgerlichen Alltags. Selbstzerstörung ist hier der Preis für das Aufrechterhalten der Fassaden. Das Problem dieser Inszenierung ist, dass sie, trotz rasanter Dialoge, im Ganzen im Modus des Nachspielens verbleibt. Das Drama hat hier nichts von innen Aufbrechendes, sondern wirkt von außen herangetragen.

Ist »Die Katze auf dem heißen Blechdach«, das Familiendrama um den Patriarchen Big Daddy, in dem die Rollen (allzu) klar verteilt sind, überhaupt noch gegenwärtig zu nennen? Motive gibt es einige: Da ist etwa die Herzenskälte der Supermütter von heute, wie sie Mae verkörpert, und der egozentrische Narzissmus von Maggie und Brick. Dazwischen liegt eine Brache, in der nichts wächst außer Konversation und Intrigen. Reicht das, den Stoff zu vergegenwärtigen? Teils, teils. Die ökonomischen Kalküle, die die Familie beherrschen, scheinen zurückgekehrt. Romantische Unbedingtheit war gestern? Vielleicht, aber dennoch hängt auch bei dieser »Katze auf dem heißen Blechdach« alles an der Annäherungs-Abstoßungs-Energie von Maggie und Brick. Etwa wenn sie sagt, sie fühle sich wie eine Katze auf dem heißen Blechdach, getrieben und unbefriedigt zugleich - und er entgegnet, sie solle doch endlich springen, Katzen würden immer auf ihren vier Pfoten landen. Such dir einen Liebhaber!

Hannes Schumacher und Nadine Nollau sind zweifellos gute Schauspieler, ihre Rolle sind solide gestaltet - aber etwas Entscheidendes stellt sich zwischen ihnen nie her: jene Dämonie, die aus der Gefahr erwächst, in die man sich in begibt, wenn man sich einem anderen Menschen ganz ausliefert. Dennoch, die Inszenierung geht weit, so weit, wie man wohl gehen kann - ohne Paul Newman und Elisabeth Taylor.

Nächste Vorstellungen: 1., 23. November

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