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Tödliche Diskursverschiebung

Die Debatte über eine angeblich eingeschränkte Meinungsfreiheit hat sich zur Farce ausgewachsen, meint Sabine Schiffer

  • Sabine Schiffer
  • Lesedauer: 3 Min.

Mehrfach wurde das Institut für Medienverantwortung angefragt, einen Beitrag zum Islamdiskurs in den Medien zu verfassen. Auch von der Redaktion des Onlinemagazins »Novo Argumente«, das den eingereichten Text ändern wollte, weil er »gegen die Meinungsfreiheit« verstoße. Er wurde nicht veröffentlicht. In der »Zeit« gab es vor zehn Jahren die Weisung: »Schiffer wird nicht gedruckt!« Hingegen bekommen wir in großen Zeitungen unter anderem die Meinungen von AfD-Parteichef Alexander Gauland, dem Vertreter der Extremismustheorie Eckhard Jesse und anderen Rechten als erörternswert angeboten.

Die Beispiele sind symptomatisch für eine Debatte, die sich zu einer Farce ausgewachsen hat. Die Berufung auf Meinungsfreiheit und der Kampf gegen Politische Korrektheit sind zu Chiffren geworden für Verallgemeinerung und Verunglimpfung bis hin zu Hass und Hetze. Mit seinem Leben bezahlte der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke für diese fatale Diskursverschiebung. Die Koordinaten sind verloren gegangen, und unsere Leitmedien bekleckern sich nicht mit dem Ruhm einer Vierten Gewalt.

Bezeichnend auch das Beispiel Thilo Sarrazin: Indem er schließlich seinen Kritikern vorwarf, ihm einen Maulkorb anzulegen, machte er sie mundtot. Rassismuskritik gilt seither immer öfter als Relativierung und Verstoß gegen die Meinungsfreiheit - dabei ist es genau andersherum: Wer Probleme auf Minderheiten projiziert, lenkt von der eigenen Verantwortung ab - so wie Sarrazin, der als Finanzsenator Berlins die Vorschule abschaffte und die Folgen auf Minderheiten abwälzte.

Vage Aussagen im Diskurs helfen, die Verwirrung voranzutreiben. Denn wenn allgemein vor einer Aushöhlung von Meinungsfreiheit gewarnt wird und sich jeder Mensch dabei seine eigene vorstellen kann, dann übersieht er - und die gesilencte SIE - vielleicht die hinter den Beispielen lauernde politische Tendenz. Denn nur selten stehen der Bundestagsbeschluss zum Informations- und Veranstaltungsverbot in Sachen Nahostkonflikt oder die chauvinistische Häme gegenüber Greta Thunberg auf der Beispielliste. Diese Beispiele zeugen eher davon, wie die Kritik an rechts-chauvinistischen Diskursen weißer Suprematisten inkriminiert wird.

Darf man so manche Form universitärer Auseinandersetzung kritisieren, in der Sache ist gerade das Nichthinnehmen von Nazisprech offizielle Staatsräson vor unserem historischen Hintergrund. Lange vor den Protesten gegen den AfD-Gründer Bernd Lucke an der Universität in Hamburg hat die Berliner Humboldt-Universität vorgemacht, wie es nicht geht - indem man die kritischen Meinungsäußerungen von Studierenden zunächst in ein Onlineforum trieb und sie dann dafür verurteilte. Die damals kritisierten Forscher Jörg Baberowski und Herfried Münkler haben tatsächlich mit dem heute kritisierten Lucke eines gemeinsam: Sie sind rechte Meinungsführer; sie haben Macht. Und eine solche Machtfülle muss kontrolliert werden dürfen.

Eigentlich ist die Sache klar: Das Grundgesetz verbrieft Meinungsfreiheit mit einem starken Fokus auf die Machtinstanzen und fordert nicht etwa zur Hetze gegen Minderheiten auf. Das Strafgesetzbuch begrenzt sie da, wo Grundrechte anderer berührt und verletzt werden (Beleidigung, Schmähkritik, Volksverhetzung). Eine Beschimpfung à la »Drecksfotze« ist demnach bei einer öffentlichen Person wie der Grünenpolitikerin Renate Künast nicht akzeptabel, eine heftige Kritik an Sachfragen - etwa, wenn Pädophilie verharmlost wird - sehr wohl.

Tatsächlich macht der Ton die Musik. Und dieser Ton klingt fürchterlich. Das hat durchaus mit dem Internet zu tun - und zwar nicht unbedingt, weil Hetzer anonym posten, sondern weil sie schnell posten. Dabei bleibt oft der Anstand auf der Strecke. Das Ergebnis ist eine kuriose Mischung aus »Wir müssen die Werte unserer Zivilisation verteidigen« und der »Selbstentlarvung als unflätige Barbaren«. Wer hier als Medienverantwortlicher meint, die Stimme des Volkes zu erkennen, dem sei ein Grundkurs in Sozialwissenschaften und Meinungsforschung oder gar eine Psychotherapie empfohlen.

Immerhin haben Staatsanwaltschaften inzwischen Stabsstellen eingerichtet, um Hass und Hetze - auch im Netz - zu verfolgen. Zu lange hat man unter den Augen des sogenannten Verfassungsschutzes zugesehen. Statt Löschung und Beweismittelvernichtung kann hier nur die konsequente Strafverfolgung die richtigen Signale setzen.

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