Im Zweifel für den ... Richter

Kritik an geplanter Strafrechtsänderung: Bei DNA-Analyse soll Hautfarbe ermittelt werden

  • Lotte Laloire
  • Lesedauer: 4 Min.

Man stelle sich vor, Opa richtet sich Jahre nach der Erfindung von Smartphones einen Festnetzanschluss ein und brüstet sich dann: Ich habe die Familie modernisiert. Ungefähr so lässt sich einer der Kritikpunkte am Gesetzentwurf zur »Modernisierung« des Strafrechts illustrieren. Schon der Begriff »Modernisierung« täusche, vielmehr handele es sich um ein »Gesetz zur Beschneidung von Beschuldigten- und Angeklagtenrechten«, so Friedrich Straetmanns. Als einer von wenigen Richtern sprach sich der rechtspolitische Sprecher der LINKEN am Donnerstagmorgen im Bundestag vehement gegen den Gesetzentwurf der SPD- und Unionsfraktionen aus.

Das Ziel, das die Regierungsfraktionen mit den zwölf geplanten Änderungen an der Strafprozessordnung (StPO) und anderen Normen erreichen wollen, lautet: Strafverfahren beschleunigen und die Rechte der Opfer stärken. Damit sind die meisten, auch Opposition und Fachleute, einverstanden. Doch noch in der ersten Minute seiner Rede gab der Parlamentarische Staatssekretär für Justiz und Verbraucherschutz, Christian Lange Backnang (SPD), einen weiteren Hintergrund preis: »Hier entsprechen wir Forderungen aus der Richterschaft.« Das stimmt. Ein Sprecher des Deutschen Richterbundes sagte »nd«: »Es ist eine Reform mit Augenmaß, auf die die Justizpraxis dringend wartet.« Er verwies auf eine Umfrage, nach der 86 Prozent aller Richter und Staatsanwälte es für vordringlich halten, das Prozessrecht effektiver zu gestalten.

Fast alle anderen Rechtsgelehrten von Strafverteidigervereinigungen über die Bundesrechtsanwaltskammer bis hin zum Deutschen Anwaltsverein (DAV) sehen das anders. Besteht etwa der Verdacht, ein Richter sei befangen, könnte dieser künftig trotzdem weitere zwei Wochen Beweise aufnehmen und damit den Prozess prägen, lautet eine Sorge. Auch die geplante Einschränkung von Beweisanträgen - dem Mittel, über das Verteidiger Einfluss auf einen Prozess nehmen können - schwäche Beschuldigte, so eine weitere Befürchtung. »Im Zweifel für den Angeklagten«, heißt das Prinzip umgangssprachlich, das hier ausgehöhlt werden könnte.

Am gefährlichsten finden viele, dass DNA-Spuren an Tatorten künftig auch auf die Haut-, Haar- und Augenfarbe der Verdächtigen hin untersucht werden sollen. Zwar betont die Regierung, dass es dadurch nicht zu »rassistischer Stimmungsmache oder Hetze kommen darf«. Wie sich das praktisch verhindern lassen soll, fragen skeptisch sieben Politikerinnen der Grünen rund um Renate Künast und Canan Bayram in einer Erklärung von Mittwoch. Bayram nannte das Vorhaben gegenüber »nd« einen »gravierenden Tabubruch«.

Karen Schubert, Juristin und Referentin der Linksfraktion, ergänzt: »Genetische Phantombilder« auf Grundlage von DNA-Spuren seien keine Modernisierung, sondern technisch schon lange möglich. Doch sie reichten nicht zur Verwendung als Beweis in einem Strafverfahren aus, da sie wissenschaftlich ungenau seien. So liege die Trefferwahrscheinlichkeit bei der Hautfarbe nur zwischen 84 und 98 Prozent.

Stephan Thomae, FDP-Fraktionsvize im Bundestag kritisierte gegenüber »nd«, die Bundesregierung leiste damit »der Gefahr eines ›Racial Profiling‹ Vorschub«. Der Begriff bezeichnet ein auf rassistischen Vorurteilen basierendes Agieren staatlicher Stellen. Die Haarfarbe sei laut Thomae zudem ein ungeeignetes Merkmal, da Haare geschnitten oder gefärbt werden und ergrauen könnten. Der Liberale spricht im Hinblick auf das Vorhaben der Regierung von einem »Bärendienst für die Bürgerrechte«.

Für »misslungen« hält der Deutsche Juristinnenbund insbesondere den geplanten Paragrafen 397b StPO. Demnach können Gerichte künftig anordnen, dass mehrere Betroffene einer Straftat, auch gegen ihren Willen, bloß eine rechtliche Vertretung für die Nebenklage erhalten. Die Regierung will dadurch »Waffengleichheit« auf beiden Seiten schaffen. Eine Sprecherin des Justizministeriums begründete diese Neuerung gegenüber »nd« auch als Folge aus dem NSU-Prozess, der wegen zahlreicher Nebenkläger sehr lange gedauert habe.

LINKE und djb finden indes: Eine Bündelung der Nebenklage sollte freiwillig sein. Denn die Interessen mehrerer Nebenkläger in einem Fall könnten sehr wohl unterschiedlich ausfallen. Ob Gerichte dies im Voraus angemessen prüfen könnten, bezweifeln Kritikerinnen. Wenn Konflikte dann im Prozess sichtbar werden, muss dieser unterbrochen werden - und am Ende verzögert sich doch wieder alles.

Auch das Verbot der Gesichtsverhüllung bezeichnet etwa der DAV als »überflüssig«. Bereits nach geltendem Recht können Richter dies anordnen. Der Verband moniert zudem, dass der aktuelle Entwurf die Arbeit der zuvor eingesetzten Expertenkommission ignoriere, die unbedingt eine gesetzliche Grundlage für den Einsatz von V-Personen empfiehlt.

Der einzige Aspekt des Pakets, mit dem offenbar niemand ein Problem hat, ist das bundesweit gültige Gerichtsdolmetschergesetz. Es soll unter anderem einheitliche Qualifikationen von Dolmetschern vorschreiben.

Als viel wichtigeren Schritt auf dem Weg zur Modernisierung schlagen die demokratischen Oppositionsparteien schon lange audiovisuelle Aufzeichnungen von Prozessen vor. 21 andere EU-Staaten haben diese Möglichkeit, Richter im Nachhinein besser überprüfen zu können, längst eingeführt. Viele Richter lehnen das allerdings ab und führen angeblich hohe Kosten für Aufzeichnungen als Gegenargument an.

Obwohl die letzten Änderungen im Strafrecht noch nicht einmal evaluiert wurden, könnte das neue Gesetz noch dieses Jahr verabschiedet werden. Als Grund für die Eile vermuten die Grünen »Sorgen um den Fortbestand der Koalition«.

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