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Der Wettbewerb kann starten

Neue Züge und womöglich neue Betreiber - Koalition stellt Weichen für S-Bahn-Zukunft

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

»Eine faire wettbewerbliche Ausschreibung ist Voraussetzung dafür, dass die Länder bei dieser größten Ausschreibung in der S-Bahn-Geschichte Angebote mit hoher Qualität zu angemessenen Preisen erhalten«, sagt Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) am Donnerstag nach der Einigung über die Modalitäten im Koalitionsausschuss am Vortag. Ab 2028 sollen sukzessive auf den Teilnetzen Stadtbahn (S3, S5, S7, S75 und S9) sowie Nord-Süd (S1, S2, S25 und S26) neue Züge sowie möglicherweise auch ein neuer Betreiber den Betrieb übernehmen. Am kommenden Dienstag soll der Senat die Ausschreibung beschließen, am Mittwoch der für Finanzen zuständige Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses.

Es geht um beträchtliche Summen. Für die Beschaffung von bis zu 1340 neuen S-Bahnwagen kalkuliert die Verkehrsverwaltung mit Kosten von 2,7 Milliarden Euro. Für die Instandhaltung über die geplante Lebensdauer der Fahrzeuge von 30 Jahren sind weitere zwei Milliarden Euro angesetzt. Der Betrieb auf den beiden Teilnetzen, der zunächst für maximal 15 Jahre vergeben werden kann, soll mit noch einmal drei Milliarden Euro zu Buche schlagen.

Bis zuletzt stritten die drei Koalitionspartner darüber, wie das Verfahren ausgestaltet werden soll. SPD und LINKE thematisierten stark den Schutz der derzeit bei der S-Bahn Berlin GmbH Beschäftigten. Nicht nur die Fahrer, sondern auch jene, die in Werkstätten oder der Verwaltung arbeiten, sollen übernommen werden müssen. Die möglichen Bieter sollen nun im Vorfeld des Verfahrens erklären, auf Rügen gegen diese Auflage zu verzichten. Diese Verpflichtung ist im Eisenbahn-Wettbewerbsrecht eigentlich nicht vorgesehen. »Ich glaube dass es eine ganz gute Chancen gibt, dass die Bewerber dem zustimmen«, sagt Harald Wolf, Verkehrsexperte der Linksfraktion zu »nd«. Wende sich ein Bieter dagegen gebe es für den Senat noch die Möglichkeit, Beschäftigungsgesellschaften zu gründen, die die Mitarbeiter der Deutsche-Bahn-Tochter S-Bahn Berlin GmbH übernehmen und dann an die künftigen Betreiber verleihen.

Bis zuletzt umstritten war auch das Thema der Werkstätten. »Die Fahrzeuge werden der landeseigenen Fahrzeuggesellschaft gehören, und es wird für das Nord-Süd-Netz eine neue, moderne Werkstatt auf einem landeseigenen Grundstück geben«, erklärt Regine Günther. Die Verwaltung rechnet mit Baukosten bis zu 80 Millionen Euro. Das soll den Vorteil der S-Bahn Berlin relativieren, die logischerweise über mehrere Werkstätten am Netz verfügt. Der SPD-Parlamentarier Sven Heinemann, der bei den Koalitionsgesprächen mitverhandelte, bedauert, »dass die Koalitionspartner in der Frage der Werkstätten gegenüber fachlichen und finanziellen Argumenten nicht aufgeschlossen waren«. »Wir hätten das gerne offener gelassen. Jeder, der mitbietet, muss auch plausibel erklären, wie er die Instandhaltung gewährleisten will«, sagt dazu Harald Wolf.

Die Pflicht zum Werkstattneubau ist also eine Idee der Grünen. Die Verkehrsverwaltung hat errechnet, dass echter Wettbewerb in dem Verfahren über die 15-jährige Vertragslaufzeit den Auftraggebern letztlich 800 Millionen Euro Einsparungen bescheren wird. »Bei der letzten Ausschreibung für den Ring gab es nur einen Bieter - diese missliche Lage soll der Vergangenheit angehören, denn zu Monopolpreisen werden wir das erforderliche Leistungsvolumen der kommenden Jahrzehnte als Länder nicht finanzieren können«, so Günther. Tatsächlich hat die S-Bahn Berlin an ihre Konzernmutter allein 2018 etwa 70 Millionen Euro Gewinn abgeliefert.

»Nur billig reicht nicht«, sagt Sven Heinemann und verweist auf jüngste Ausschreibungen in anderen Regionen Deutschlands, bei denen die Gewinner vor dem Betriebsstart nicht ausreichend Personal haben anwerben können. Auch die mögliche Zersplitterung durch die Möglichkeit, nur für eines der Teilnetze und nur für Fahrbetrieb oder Fahrzeuglieferung und -instandhaltung zu bieten, lässt Zweifel an der Betriebsstabilität aufkommen. Böse Zungen behaupten, dass die Ansichten der Verkehrsverwaltung ungefiltert jenen des Beratungsunternehmens KCW entsprächen. Das Kürzel steht für »Kompetenzcenter Wettbewerb«. Spätestens Anfang 2022 sollen der oder die künftigen Betreiber feststehen.

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