Krümel gibt es nur noch gegen Leistung

  • Adrian Schulz
  • Lesedauer: 3 Min.

Meine Redakteure (Damen haben diese Kolumne bisher noch nicht betreut) sind bis jetzt ziemlich nett zu mir. Gut - diese Zeitung verfügt auch über keine großen Geldmittel. Das ist, in der linken Szene sowieso, zwar noch kein Grund für Freundlichkeit; aber erfreulich oft auch keiner für Unfreundlichkeit. Als freier Autor fühlt man sich ja immer so überflüssig, abhängig von Leuten, die man nie zu Gesicht bekommt. Ein Zustand der Schwebe oder, besser, des permanenten langsamen Abrutschens, den der südkoreanische Regisseur Bong Joon-ho im besten Film dieses Jahres, »Parasite«, so präzise inszeniert. Umso intensiver betreibt man also Vorgesetztenbeobachtung.

Neue Vorgesetzte haben jetzt auch die Beschäftigten der »Berliner Zeitung«. Das ist eine bürgerliche Zeitung, das heißt, man bekommt für einen Text von derselben Länge wie diesem ein Honorar in der Höhe von dem, das ich für diesen Text erhalte, plus zwei Zehn-Euro-Amazongutscheine - und das sind noch die alten Verträge. Jedem dieser Beschäftigten sind dieser Tage nur gute Nerven zu wünschen; erst recht, seitdem das neue Verleger*innen-Paar Silke und Holger Friedrich, das durch irgendwas mit Start-up eklig reich geworden ist, in einem etwa 50 Manuskriptseiten langen Auftakttext erläutert hat, »was wir wollen«. In dem bizarren Text machen die beiden klar, wohin die Reise geht: von hinten durch den Nebensatz ins Auge.

Wer bislang nicht glauben mochte, dass man, um vom Kapitalismus zu profitieren, keine klaren Gedanken zu haben braucht, muss nach diesem Manifest, das die Friedrichs als die perfekten Chaos-Kommandant*innen der Gegenwart ausweist, neu denken. Ich zitiere hier einfach mal meine Lieblingspassagen. Nummer 3: »Und mit der Erfahrung aus einem Schulprojekt sowie als Eltern von drei Kindern stellt sich uns die Frage, wie weit unser Verständnis von moderner Bildung in diesem Land trägt.« Nummer 2: »Die vierte Gewalt sollte sich nicht darauf beschränken, mit dem Fahrstuhl auf und ab zu fahren und den primär am Fahrstuhlfahren Interessierten den Weg zu ebnen.« Und schließlich Nummer 1: »Vielleicht bietet der sich zusehends leerende Kalender des Bundeskanzleramts Gelegenheit zur kritischen Reflexion im erweiterten Sinne des Heimatschutzes, falls notwendig auch unter Nutzung der Richtlinienkompetenz? Es ist absehbar, dass die Seminargebühr aus dem Handeln der Schlafwandler 1914 bald gezahlt sein wird.« Ich sage das seit Jahren, aber auf mich hört ja niemand.

Was sich hier so spektakulär ausufernd Bahn bricht, ist offensichtlich nicht mal mehr ideologisch, das heißt auf eine Weise rational, berechenbar, stringent. Die kleinen Parasiten, früher hätte man »Zecken« gesagt, die ängstlich jede Regung ihres Wirtstiers beäugen und sofort prozessieren, muss die sicherlich mit Vollbart in die Zukunft weisende Chaotisierungstendenz der Friedrichs in die völlige Erschöpfung stürzen.

Von den Waffen der Schwachen (zum Beispiel Küchenmessern oder dem Wissen um Pfirsichallergien) erzählt Bong Joon-ho so zart schlitternd. Man darf also gespannt sein - um en passant ganz disruptiv eine im Journalismus verpönte Formel in diesen adaptionsbereiten Text zu droppen: darauf, wie sich, zum Beispiel, der noch gar nicht erwähnte, gruseln machend frohlockende Exkurs der beiden auf »Social-Scoring-Systeme« und »Verhaltenskontrolle« real ausgeht. Vor diesem Hintergrund klingt ihr Appell beinahe drohend: »Lassen Sie uns dankbar dafür sein, dass wir diesen Text straffrei schreiben und Sie diesen Text straffrei lesen dürfen.«

Ich jedenfalls bin es. Jeden Tag ein bisschen mehr.

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