Vom Rasen ins Gefängnis

Fußballer aus Guinea soll abgeschoben werden, seine Kasseler Teamkollegen demonstrieren

  • Simon Volpers, Göttingen
  • Lesedauer: 3 Min.

»Wir sind aus allen Wolken gefallen, als sich Ibra mit der Nachricht im Mannschafts-Chat meldete«, erzählt Max Winkler. Soryba Dramé, genannt Ibra, und Winkler spielen beide für Dynamo Windrad in Kassels Kreisklasse B. Seit etwa einem Jahr sei Ibra Teil der zweiten Mannschaft gewesen. Zuvor war er aus Guinea geflohen, wo er gegen die autoritäre Regierung protestiert hatte und miterleben musste, wie einige seiner Freunde ermordet wurden. Mit dem gemeinsamen Fußballspielen könnte jedoch bald Schluss sein. Am 24. November soll Ibra offenbar im Rahmen der sogenannten Dublin-Verordnung nach Spanien abgeschoben werden.

Er sei »einer der besten Fußballer« im Team und in den letzten Spielen nur knapp an seinem ersten Saisontor vorbeigeschrammt, heißt es im Aufruf zu einer Demonstration, die an diesem Mittwochabend in Kassel geplant ist. Voller Erwartung habe seine Fußballmannschaft bereits der Rückrunde entgegengefiebert, in der auch Stürmer Ibra endlich Tore schießen sollte. Doch seit vergangenem Donnerstag sitzt er in Abschiebehaft.

Für seine Mitspieler bei Dynamo Windrad war Ibras Biografie bisher nur selten ein Thema. »Wir haben nicht darüber gequatscht, wo er herkam. Das war uns völlig schnurz«, sagt Winkler. In der Mannschaft spielen viele Migranten, ein weiterer Geflüchteter trainiert regelmäßig mit.

Damit Ibra nun die bestmögliche Unterstützung bekommt, haben die Vereinsverantwortlichen nun einen Anwalt eingeschaltet. Bereits am vergangenen Freitag waren zudem 70 Leute zu einer spontanen Kundgebung gegen die Abschiebung zusammengekommen; zur Demonstration an diesem Mittwoch sollen es noch einige mehr werden. Auch seine Kollegen haben sich solidarisch geäußert: »Wir sind fassungslos, traurig und wütend und möchten alles geben, um die Abschiebung zu verhindern«, heißt es in einer Stellungnahme.

Mit dem Protestieren kennen sie sich bei Dynamo Windrad prinzipiell aus. Der Klub versteht sich als alternativer Sportverein und tritt offensiv so auf. Nach der Gründung 1982 wurde ihm lange die Anerkennung von Fußballverbänden verwehrt. Der Name erinnere zu sehr an das DDR-Sportwesen. Zeitweilig beschäftigte der Fall gar das Bundesverfassungsgericht. Erst seit der Wiedervereinigung darf Dynamo Windrad unter diesem Namen am regulären Spielbetrieb teilnehmen.

Seinen besonderen Wertekodex hat der Verein dadurch nicht verloren. Noch immer engagieren sich die Mitglieder gegen Rassismus und für einen vielfältigen Fußball. Die Resonanz darauf ist im nordhessischen Amateurfußball weitgehend positiv. 2011 wurde dem Verein sogar Hessens Integrationspreis verliehen. »Eigentlich hatten wir nur einmal richtigen Ärger, als es bei einem Spiel homophobe Anfeindungen gab«, so Winkler.

Umso härter trifft den Verein der anstehende Verlust ihres Mitglieds. Im Demonstrationsaufruf heißt es daher: »Es ist nicht zu tolerieren, dass wertvolle Mitglieder unserer Gemeinschaft ohne Grund und Ankündigung aus ihrem Leben gerissen werden.« Winkler schätzt die rechtliche Situation allerdings wenig erfolgversprechend ein: »Unsere einzige Chance ist es wohl, öffentlichen Druck zu erzeugen«. Der Demonstrationszug soll auch deshalb zur Ausländerbehörde ziehen. Ibra selbst sitzt indes in Darmstadt im Gefängnis. Immerhin haben seine Mitspieler Kontakt zu ihm, Ibra darf sein Handy nutzen. »Er freut sich sehr über alle Solidaritätsbekundungen. Wir hoffen, dass viele zur Demo kommen«, sagt Winkler.

Ein wenig Hoffnung dürften Ibra und Dynamo Windrad zwei ähnliche Fälle aus Niedersachsen machen. Anfang September wurde dort ein Spieler des 1. SC Göttingen 05 ebenfalls in Abschiebehaft genommen. Die antirassistisch engagierte Fanszene organisierte Proteste und war tatsächlich erfolgreich: Nach rund einer Woche wurde der Spieler wieder aus dem Gefängnis entlassen.

Auch beim 1. FFC Hannover konnte im Oktober eine positive Nachricht verkündet werden. Eine 18-jährige Spielerin des Vereins sollte zunächst nach Ghana abgeschoben werden. Mittlerweile wurde ihre Duldung verlängert, sodass sie zumindest bis Mitte 2020 in Deutschland - und bei ihrer Fußballmannschaft - bleiben darf.

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