Dienstpflicht für alle!

Andreas Koristka findet den Vorschlag Annegret Kramp-Karrenbauers ganz großartig

Es war eine der interessantesten Erfahrungen meines Lebens, als ich in den späten neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts im auf angenehme 16,5 Grad Celsius beheizten Kreiswehrersatzamt in Neuruppin stand. Viel machen musste ich nicht. Ein paar Fragen, ein paar Kniebeuge und das Wichtigste: Mein Poloch wurde kontrolliert. Heute würde ich freudig die Hosen herunterziehen und jedem, der mich nett darum bittet, meinen Pöter ins Gesicht halten. Aber mit meinen 17 Jahren zierte ich mich ein wenig. Das war natürlich Quatsch, denn ich bin mir sicher, dass die anwesende Ärztin, ihre zwei Arzthelferinnen und die anderen Leute im Untersuchungszimmer (der Grund ihrer Anwesenheit erschloss sich mir als militärischen Laien nicht) an diesem Tag schon genügend After zu Gesicht bekommen hatten. Wenn man sie heute fragen würde, dann könnten sie sich wahrscheinlich nicht mal mehr an mich und mein ziemlich auffälliges Muttermal unter der linken Pobacke erinnern.

Warum das Poloch untersucht wurde, erschließt sich mir bis heute nicht. Mag sein, dass ein maßgerechtes und gesundes Poloch in der Schlacht von hohem Nutzen ist. Als feststand, dass mein Poloch gut genug für die deutsche Armee war, wurde ich nach meinem Drogenkonsum gefragt. Ganz so, als wäre ich der Typ, der so abgefahrenes Zeug nimmt, dass er sich für 12 Jahre verpflichtet, jeden Tag in die Hintern von flaumbärtigen Heranwachsenden zu stieren. In der Hoffnung auf eine Ausmusterung gab ich alles an, was mir spontan an illegalen Substanzen einfiel und beteuerte, täglich von alldem Gebrauch zu machen. Die Ärztin runzelte die Stirn, und sagte, dass ich dann leider bei der Armee keine Fahrzeuge fahren dürfe, aber ansonsten kerngesund sei. Im Jargon der Bundeswehr hieß das »Tauglichkeitsgrad 3«. Ein paar Monate und einen mehrseitigen Gesinnungsaufsatz später war ich der persönliche Sklave auf Zeit eines cholerischen und fettleibigen Kindergartenhausmeisters irgendwo in Brandenburg. Ich merkte, wie sehr ich in der Begründung meiner Kriegsdienstverweigerung gelogen hatte. Wenn ich zu der damaligen Zeit an eine Waffe gekommen wäre, dann hätte die Brandenburger AfD heute einen adipösen Wähler weniger.

Nun war ich geradezu begeistert, als die Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer eine einjährige Dienstpflicht für alle jungen Frauen und Männer vorschlug. Denn was für mich schon schlecht war, das gönne ich umso mehr der jungen Generation, die mich mit ihren lauten Bluetooth-Lautsprechern, den eitrigen Kratern in ihren Gesichtern und der gespielt devoten Art, mit der sie mir die Einkaufstaschen ins 4. Stockwerk trägt, schon lange ein Dorn im Auge ist. Warum können diese Leute nicht wenigstens ein Jahr lang richtig leiden? Oder wie es der für rechtspopulistische Quatschvorschläge immer offene Sigmar Gabriel formulierte: »70 Jahre (oder mehr) tut die Gesellschaft was für uns. Warum nicht 1 Jahr etwas für die Gesellschaft tun?« Recht hat er! Die Gesellschaft (DIE GESELLSCHAFT!!1) ist jeden Tag für uns da. Erst gestern hat sie für mich den Waschbeckenabfluss gereinigt, hat die Wohnung gesaugt und den Windeleimer ausgespült. Ohne die Gesellschaft gäbe es niemanden, der mir sagen würde, dass ich bei meiner Steuererklärung die Einnahmen-Überschuss-Rechnung vergessen habe. Ohne Gesellschaft, kein Public-Viewing, keine Drachenbootrennen und keine Prepperchatgruppen. Die Gesellschaft ist für dich da, wenn es dir schlecht geht. Dann dreht sie dich dreimal am Tag um, damit du dich nicht wund liegst. Sie kann dein Recht auf Eigenbedarf an einer Privatimmobilie mit einer Zwangsräumung durchsetzen, und sie guckt dich blöd an, wenn du in der U-Bahn popelst. Es ist allerhöchste Zeit, für all dies etwas zurückzugeben. Dafür sein Poloch zu zeigen, ist kein zu hoher Preis.

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