Wo nichts ist, kann auch nichts stören

Geburt? Nein, danke.

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.

Auf die Welt zu kommen, ist kein Spaß. Und das gilt nicht nur für das Neugeborene. Auch das Auf-die-Welt-Bringen kann als Tortur gelten. Die Mutter des zu erwartenden neuen Erdenbürgers quält sich und leidet sogar auf mehrfache Weise, könnte man sagen: zuerst beim mühevollen Herauspressen des brüllenden, zappelnden Fleischsacks aus ihrem Körper und danach ein Leben lang unter seiner Existenz.

Und da haben wir von den unbeschreiblichen Qualen, denen der Säugling im Lauf des bis zum Tod währenden Existenzkampfs ausgesetzt ist, noch gar nicht gesprochen: Kaum ist er, ohne dass man ihn nach seinen Wünschen gefragt hätte, ins Dasein geflutscht, muss er sich schon mit seinen natürlichen Feinden herumschlagen, also den zum Zeitpunkt seiner Geburt bereits existierenden Exemplaren der menschlichen Gattung - in der Regel armseligen Gestalten, die an ihm zerren, mit allerlei Flüssigkeiten an ihm herumhantieren, ihn platzsparend verstauen wollen und auch sonst mit ihm verfahren wie mit einem jederzeit verfügbaren Gebrauchsgegenstand.

Wobei: Wenn man’s genau nimmt, ist die Essenz des Menschenlebens ja genau das, eine Existenz als strapazierfähiger Gebrauchsgegenstand bzw. vielseitig vernutzbarer Arbeitssklave, der nach der in Elternhaus, Kindertagesstätte, Schule und Militär erfolgten gelungenen Abrichtung zum Idioten abwechselnd schuftet, schläft, auf sein Smartphone starrt, seinen Mitmenschen Schmerzen zufügt bzw. sie zurechtweist, langweilt und/oder ausbeutet, sich unzureichend oder falsch ernährt, seinen Darm entleert, an wahlweise schmerzenden, nässenden oder juckenden (oder alles drei) Hautkrankheiten leidet und auch darüber hinaus planmäßig vor sich hinstirbt. Und zwar, wohlgemerkt, nicht ohne dabei unschöne Rückstände zu hinterlassen. Warum man derlei als Säugling wollen sollte, dürfte wohl für immer das Geheimnis der bereits unschuldig zum Leben Verurteilten bleiben.

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Schon Karl Kraus betrachtete die meisten seiner Mitmenschen als »traurige Folgen einer unterlassenen Fruchtabtreibung«. Der Schriftsteller Thomas Bernhard gab zu bedenken, dass die Geburt der Beginn der »lebenslänglichen Strafhaft« des Menschen sei. Und auch der Schriftsteller Walter Serner dekretierte nicht ohne Grund: »Jeder hat die moralische Verpflichtung auszusterben.« Ökologischer, friedlicher, arbeits- und zeitsparender und auch darüber hinaus in jeder Hinsicht besser und sinnvoller als das nachträgliche Aussterben (das ja am Ende nur wieder neue Entsorgungsprobleme verursacht) allerdings wäre das Nichtgeborenwerden, dessen Vorzüge auf der Hand liegen: Wo nichts ist, kann auch nichts stören, nerven und sich spreizen. Eine zwar einfache, dafür jedoch umso tröstlichere Wahrheit. Und das inflationär gebrauchte Quatschwort »Nachhaltigkeit« (Synonyme: »Zukunftsfähigkeit«, »Wirkung über den Moment hinaus«, »Konsequenz«) erhält so am Ende auch einen ganz neuen Sinn.

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