Landesvater Manfred Stolpe tot

Langjähriger SPD-Ministerpräsident Brandenburgs im Alter von 83 Jahren gestorben

Solange Brandenburgs Ex-Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) das noch konnte, besuchte er die Landesparteitage, saß als Ehrengast in der ersten Reihe. Am 14. November, als die Sozialdemokraten im Kongresshotel Potsdam den mit CDU und Grünen ausgehandelten Koalitionsvertrag absegneten, fehlte er. Stolpe ließ aber Grüße ausrichten. Übermittelt wurde diese Botschaft durch Matthias Platzeck (SPD), der den Posten des Regierungschefs 2002 von Stolpe übernommen und 2013 an den aktuellen Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD) weitergegeben hatte. Es gehe Stolpe gesundheitlich schlecht, erklärte Platzeck, doch über den schon nicht mehr erwarteten Sieg seiner Genossen bei der Landtagswahl am 1. September 2019 habe er sich »wie Bolle« gefreut.

Das war die letzte offizielle Nachricht von Stolpe. Wie die Staatskanzlei am Montag mitteilte, starb er in der Nacht zum Sonntag im Alter von 83 Jahren. Er sei »nach langer, schwerer Krankheit im Kreise seiner Familie friedlich eingeschlafen«. 15 Jahre rang Stolpe mit seinem Krebsleiden. 2010 veröffentlichte er mit seiner Frau Ingrid das Buch: »Wir haben noch so viel vor. Unser gemeinsamer Kampf gegen den Krebs«.

Am 16. Mai 1936 in Stettin geboren, hatte Stolpe von 1955 bis 1959 in Jena Jura studiert und danach bis zum Ende der DDR bei der evangelischen Kirche gearbeitet, seit 1982 im hohen Rang eines Konsistorialpräsidenten. Dabei kümmerte er sich auch um Menschen, die aus der DDR ausreisen wollten. Auch deshalb hatte Stolpe Kontakt zum Ministerium für Staatssicherheit. Daraus sollte ihm später ein Strick gedreht werden. Es gab einen Untersuchungsausschuss des Landtags. Er blieb aber Ministerpräsident.

Von 1990 bis 2002 lenkte Stolpe die Geschicke Brandenburgs. »Er gab dem Land Stimme und Gesicht. Im besten Sinne des Wortes war Manfred Stolpe Landesvater«, erinnert Ministerpräsident Woidke. Die markante Stimme versagte zuletzt. Im März gab Stolpe der Boulevardzeitung »B.Z.« ein Interview, das per E-Mail und SMS geführt werden musste. »Der Tod kommt auf jeden Menschen zu. Ein Testament habe ich verfügt«, ließ er wissen. Stolpe hoffte, dass die SPD wie immer seit 1990 die Landtagswahl gewinnen werde, machte sich aber Sorgen wegen der AfD. Er mahnte: »Einige Regionen Ostdeutschlands fühlen sich vergessen. Dabei geht es auch um die Anerkennung der Lebensleistungen der Menschen, um Lohn- und Rentengerechtigkeit.«

Ministerpräsident Woidke würdigt Stolpe als »Sachwalter ostdeutscher Interessen« und sagt: »Er trug die Liebe zu Brandenburg in seinem Herzen, lange schon bevor unser Land 1990 gegründet wurde.« Noch in der DDR schmückte Stolpe sein Auto mit dem Wappentier, einem roten Adler. Das war, als die DDR-Bürger von Mecklenburg, Sachsen und Thüringen sprachen, bei Brandenburg aber nur an die gleichnamige Stadt an der Havel dachten.

Stolpe gelang er dennoch, dem jungen Bundesland schnell ein Heimatgefühl zu verschaffen - unter Rückgriff auf die umstrittene preußische Geschichte. Den Weg geebnet hatten Historiker und SED-Politiker, die in den 80er Jahren zunehmend nicht mehr nur den Militarismus geißelten, sondern Preußen mit den dort einst verfügten Reformen auch positive Seiten abzugewinnen begannen. Das war aber kein Vergleich mit dem von Stolpe entfalteten Preußenrummel. Dieser nervte schließlich so wie sein Lieblingslied, die Hymne »Märkische Heide, märkischer Sand«. Deren Dichter und Komponist Gustav Büchsenschütz hatte sich in der Nazizeit stolz darüber geäußert, dass die Brandenburger SA so gern zu der Melodie marschierte. 1990 war das nicht mehr im Gedächtnis. Erst später stieß man bei Nachforschungen wieder auf die entsprechenden Quellen.

Zugeschrieben wird Stolpe die Absicht, Brandenburg als »kleine DDR« zu gestalten, um den vielfachen Absturz der Einwohner nach der Wende abzufedern. Das Gerücht hält sich hartnäckig, weil Stolpe es nicht sofort energisch dementierte. Ein Körnchen Wahrheit ist jedoch dran. Denn als Massenarbeitslosigkeit herrschte, kämpfte Stolpe tatsächlich glaubhaft gegen den Raubtierkapitalismus.

»Er war ein sehr souveräner, menschlich denkender Politiker«, würdigt Heinz Vietze, der in der Ära Stolpe PDS-Fraktionsgeschäftsführer im Landtag war. Der Regierungschef habe sich »soziale Gerechtigkeit zur Lebensmaxime gemacht«. Es sei ihm natürlich nicht immer gelungen, weiß Vietze. »Aber es stand auch nicht in seiner Macht.« Keineswegs habe Stolpe eine »keine DDR« gewollt, aber auch nicht ein Überstülpen der Verhältnisse der alten Bundesrepublik, bescheinigt Vietze. »Er wollte etwas Neues.« Hoch rechnet Vietze dem Verstorbenen an, als Christ »in bestimmter Weise frei von Feindbildern« gewesen zu sein. »Ich gehörte zu den Profiteuren«, gesteht der 72-Jährige. Es habe nicht viele ehemalige Erste Kreissekretäre der SED gegeben, die wie er nach der Wende weiter Politik machen durften. Der sogenannte Brandenburger Weg bedeutete den fairen Wettstreit um die besten Ideen, bei dem auch mal ein vernünftiger Vorschlag der Opposition aufgegriffen wurde. Mit dem westdeutschen Politikstil, der mittlerweile auch in Potsdam Einzug hielt, hatte das wenig zu tun.

2002 bis 2005 war Stolpe noch Bundesverkehrsminister. Historisch prägend wirkte er aber als Ministerpräsident in Brandenburg - trotz aller Misserfolge mit Großprojekten wie Lausitzring und Chipfabrik. Bei der Auswahl des Standorts für den neuen Hauptstadtflughafen plädierte er für Sperenberg, konnte aber die Entscheidung für den Bau in Schönefeld nicht verhindern - mit allen negativen Folgen, die sich daraus ergaben. Größte Niederlage war die 1996 bei einer Volksabstimmung gescheiterte Länderfusion mit Berlin. Größter Sieg waren die seither unerreichten 54,1 Prozent seiner SPD bei der Landtagswahl 1994. Man kann das Ergebnis als deutliche Antwort der Wähler auf die damaligen Stasi-Vorwürfe werten.

Stolpes politisches Wirken war fast zehn Jahre eng verbunden mit seiner Sozialministerin Regine Hildebrandt (SPD). Ihre Wege trennten sich erst, als die »Mutter Courage des Ostens« 1999 mit der PDS zusammengehen wollte, Stolpe sich jedoch für eine Koalition mit der CDU entschied.

Am Montag ordnete Innenminister Michael Stübgen (CDU) - er war in der DDR evangelischer Pfarrer - drei Tage Trauerbeflaggung an. In der Staatskanzlei wird ein Kondolenzbuch ausgelegt.

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