Weihnachten vorbei, Pralinen sind alle

Adrian Schulz über einen nachweihnachtlichen Gedankenfilz

  • Adrian Schulz
  • Lesedauer: 3 Min.

Ich fresse gerade die letzte »Merci«-Praline von Weihnachten und lese auf Twitter einen Satz aus einer Rezension des »Spiegel«-Redakteurs Takis Würger, der dem »parataktischen Bum-Bum-Stil« (»FAZ«) seines Journalistenschultums ausnahmsweise nicht entspricht, aber trotzdem toll ist: »Eine Reporterin schmeißt ihre Protagonisten in die Wurstmaschine, ob sie will oder nicht, weil die Wurstmaschine der einzige Weg zu einer Reportage ist.«

»Merci, dass es dich gibt«, möchte ich ihm nur zurufen, denn zufällig habe ich vor einer Stunde ein veganes Wurstmaschinen-Start-up gegründet, mit dem ich Journalismus, Wurst, Vollbärte, Vollmond, Start-ups, Twitter und den Planeten wieder in Reinklang bringen und noch besser machen werde. Moment, mein Assistent Herr Sammelramms bestätigt mir in dieser Minute, dass es doch »Einklang« heißen muss, wer konnte das ahnen, und zack, jetzt ist aber wirklich die allerletzte »Merci«-Praline aufgefressen, und das Papier gleich mit, verflucht, verflucht!

Einen Assistenten hätte ich wirklich gerne oder einen Privatsekretär. Dann würde ich den ganzen Tag lang alte Süßigkeitenwerbung schauen und Fünfjahrespläne studieren, um den Shareholder Value für die lieben Kinder zu maximieren. Aber das mache ich ja auch so schon - mal wieder das Scheißsystem überlistet! So einfach ist Kommunismus.

Und dann will ich das Altpapier rausbringen und die Tüte reißt, der ganze falsch getrennte Nudelsalat fällt heraus und mein Fußboden ist dreckig, womöglich geht der Feueralarm an, und der Pilznotruf will auch noch ein Wörtchen mitreden, wenn er schon mal existiert. In solchen Momenten wünsche ich mir wiederum einen Privatsekretär und denke: Wenn nur jede*r der*die Privatsekretär*in der*des Nächsten sein könnte, wäre das nicht noch mehr Kommunismus? Für andere - nicht beliebig viele, aber vielleicht eine*n oder zwei - aufzuräumen, bereitet nämlich viel mehr Spaß, als das für sich selbst zu tun. Bei anderen weiß man gleich viel besser, was sie wie am besten machen sollten. Und wenn für einen selbst dabei auch noch aufgeräumt würde, könnte man sich nach getaner Arbeit ins gemachte Bett legen und die gelegten Eier auf die geschaukelten Pferde aufzäumen.

Überdies könnte jede*r ihren*seinen Mitmenschen noch gut bezahlte Jobs bei der Frankfurter Arbeiterwohlfahrt besorgen, einfach aus Nettigkeit. Die hat ja schließlich schier unbegrenzt viele zu vergeben, und nach der SPD-Filzaffäre sind wohl ein paar davon freigeworden. Selbst ich, ein unbekannter Gossenschreiberling, der seinen Dorsch lieber gekocht als gebügelt verzehrt, habe schon unbeabsichtigterweise ein dreiviertelstündiges Telefonat mit Oberbürgermeister Peter Feldmann an die Backe geschwatzt bekommen, an dessen Ende dieser mir »jegliche finanzielle Unterstützung« für Presseveranstaltungen über das neue Demokratiezentrum in der Frankfurter Innenstadt zusicherte.

Ob Nazis dort auch mitmachen dürfen, habe ich nicht gefragt. Aber das dürfen sie ja sowieso überall. Für genug Süßigkeiten jedenfalls dürfte gesorgt sein, denke ich mal.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal