- Kommentare
- Oleksij Hontscharuk
Schmutzige Mitschnitte
Robert Putzbach über das Rücktrittsgesuch des ukrainischen Ministerpräsidenten
Seinen Facebook-Beitrag vom Freitag beginnt Oleksij Hontscharuk mit sechs Punkten Eigenwerbung für Reformen, die seine Regierung in den letzten Monaten umgesetzt habe. Erst zum Schluss wird es knackig: Der 35-jährige ukrainische Premierminister bietet nach nur vier Monaten im Amt seinen Rücktritt an, »um jeden Zweifel an seinem Respekt gegenüber dem Präsidenten auszuräumen«. Zuvor waren im Internet Aufnahmen eines Gesprächs mit der Finanzministerin sowie mit dem Nationalbankchef aufgetaucht, in denen sich Hontscharuk abfällig über den Präsidenten äußert.
Die Schmähungen sind jedoch überraschend harmlos: Wolodymyr Selenskyj habe ein »primitives Wirtschaftsverständnis« und »Nebel im Kopf«. Hinter vermeintlich verschlossenen Türen, beispielsweise auf Ibiza, bedienen sich Politiker auch gerne eines deftigeren Vokabulars.
Die spannende Frage lautet also, wer für die Mitschnitte verantwortlich ist. Offenbar hat, wie meistens in der ukrainischen Politik, ein Oligarch seine Finger im Spiel. Hinter der Lauschattacke soll der einflussreiche Unternehmer Ihor Kolomojskyj stecken. Sein Fernsehkanal strahlte die Serie mit Selenskyj in der Hauptrolle aus, was dessen Kandidatur erst ermöglichte. Kolomojskyj strebt nun nach mehr Einfluss auf die Regierungspartei, auch um seine verstaatlichte »Privatbank« zurückzubekommen.
Der Präsident steckt nun in einer Zwickmühle: Wenn er das Rücktrittsgesuch annimmt, spielt er denjenigen in die Hände, die hinter der Intrige stecken. Wenn er hingegen ablehnt, leidet sein Ruf: Der Komiker steht dann da wie einer, dem man einfach auf der Nase herumtanzen kann.
Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Dank der Unterstützung unserer Community können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen
Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.