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Gemeinwirtschaft statt Konzerne

Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen« stellt neues Vergesellschaftungskonzept vor

  • Georg Sturm
  • Lesedauer: 3 Min.

»Nur mit einem Deckel kann man nichts kochen«, stellt Ralf Hoffrogge von »Deutsche Wohnen & Co enteignen« unter Verweis auf jüngst vom Abgeordnetenhaus beschlossenen Mietendeckel fest. »Zum Kochen benötigt man einen Topf - und dieser Topf ist die Vergesellschaftung«, so Hoffrogge weiter.

In einem mehrmonatigen Gesprächsprozess mit Mieter*innen, Verbänden und Gewerkschaften hat die Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen« eine Broschüre erarbeitet. Das Papier mit dem Titel »Vergesellschaftung und Gemeinwirtschaft - Lösungen für die Berliner Wohnungskrise« enthält ein detailliertes Modell zur gemeinwohlorientierten Bewirtschaftung und demokratische Verwaltung der zur vergesellschaftenden Wohnungsbestände. Im Rahmen einer Podiumsveranstaltung im Aquarium in Berlin-Kreuzberg stellte die Initiative ihr Konzept am vergangenen Freitagabend vor.

Bei dem Papier handele es sich nicht um ein fertiges Konzept, sondern um einen ersten Entwurf. Die Veranstaltung solle den Auftakt für eine Diskussion zur Entwicklung eines Vergesellschaftungsgesetzes bilden, erklärt Moderator Stephan Junker. »Je mehr über Vergesellschaftung diskutiert wird, desto wahrscheinlicher wird sie«, so der Sprecher der Initiative.

Durch einen Volksentscheid will die Initiative die Vergesellschaftung von Immobilienkonzernen mit jeweils mehr als 3000 Wohnungen erreichen. Laut Berechnungen des Senats wären davon über 200 000 Wohnungen betroffen. Unter Vergesellschaftung verstehen die Aktivist*innen jedoch nicht nur die Überführung von privatem in öffentliches Eigentum, sondern auch die gemeinwohlorientierte Bewirtschaftung sowie die demokratische Verwaltung der Wohnungsbestände.

Die Gemeinwirtschaft sei das »genaue Gegenmodell zur finanzmarktgetriebenen Globalisierung«, erklärt Hoffrogge. Wohnraum als öffentliches Gut sichere nicht nur bezahlbare Mieten, sondern eröffne zahlreiche weitere Möglichkeiten für die Stadtgesellschaft: Von Ateliers über Jugendzentren bis hin zu dezentraler Unterbringung für Geflüchtete könne öffentlicher Immobilienbesitz all das sicherstellen, was Berlin lebenswert macht. Auch die Energiewende ließe sich durch öffentliche Unternehmen vorantreiben. »Mit über 200 000 Wohnungen könnte man da ganz anders klotzen«, ist Hoffrogge überzeugt.

Zur Verwaltung der vergesellschafteten Wohnungsbestände sieht das Modell die Schaffung einer neuen Anstalt öffentlichen Rechts vor. Diese würde nicht nur die Vorteile großer Unternehmen wie Finanzstabilität und Kreditwürdigkeit bündeln, sondern ermögliche zudem die demokratische Mitbestimmung der Mieter*innen sowie der gesamten Stadtgesellschaft. »Die Wohnungen sollen der Stadtgesellschaft gehören, damit nicht nur die Mieter profitieren«, erklärt Hoffrogge. Über ein Rätesystem sollen Entscheidungen möglichst dezentral getroffen werden und alle Menschen berücksichtigen, die von diesen betroffen sind.

Als höchstes Gremium der Anstalt öffentlichen Rechts soll ein Verwaltungsrat eingerichtet werden. In diesem wären Beschäftigte, Mieter*innen und Vertreter*innen der Stadtgesellschaft zu gleichen Teilen vertreten. Gegenüber den Vertreter*innen des Senats müssten sie eine Mehrheit stellen. »Es wäre großartig, wenn nicht mehr über unseren Kopf hinweg entschieden würde«, so Hoffrogge.

Wie wichtig die demokratische Mitbestimmung für erfolgreiche Vergesellschaftung ist, machen auch die anderen Diskussionsteilnehmerinnen deutlich. Franziska Schulte vom Berliner Mieterverein erklärt, dass bei den städtischen Wohnungsunternehmen die Mitbestimmung auch ausbaufähig ist.

Auch Marie Schubenz vom Mieterrat des Neuen Kreuzberger Zentrums weiß aus Erfahrung um die Vorteile von Partizipationsmöglichkeiten: »Die Menschen, die dort arbeiten und leben, sind diejenigen, die den Ort am besten gestalten können.«

Bis zur Umsetzung der Pläne der Initiative ist es noch ein weiter Weg. Mit über 77 000 Unterschriften hat das Volksbegehren zwar bereits die erste Hürde zum Entscheid genommen. Jedoch liegt der Antrag seit Juli zur rechtlichen Prüfung bei Innensenator Andreas Geisel (SPD). Sollte die Zulässigkeit bestätigt werden, müssten innerhalb von vier Monaten an die 200 000 Unterschriften gesammelt werden. Erst dann würde die Berliner Bevölkerung schließlich in einem Volksentscheid darüber abstimmen. »Wir werden ganz schön Druck organisieren müssen«, sagt Moderator Junker. Ingrid Hoffmann von »Deutsche Wohnen & Co enteignen« ist sich jedoch sicher, dass sich die Auseinandersetzung lohnen wird: »Der Mietendeckel hält fünf Jahre - die Vergesellschaftung ein Leben lang.«

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