»Da bahnt sich was an«

Aktivisten protestieren gegen Castortransporte und Versuche, die Atomkraft zu rehabilitieren

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 4 Min.

Der bislang letzte Castor-Transport nach Gorleben dauerte 126 Stunden. Tausende Demonstranten stellten sich im November 2011 dem Konvoi mit hochradioaktivem Atommüll auf seiner Fahrt von Frankreich immer wieder in den Weg, mehr als 20 000 Polizeibeamte aus Bund und Ländern waren im Einsatz. An die 50 Millionen Euro soll die Sicherung der Fuhre den Staat gekostet haben.

Die Politik zog angesichts des massenhaftes Protestes Konsequenzen. Parallel zum Neustart der Endlagersuche verbot der Bundestag 2013 weitere Atommülltransporte ins Wendland. Zumindest so lange, bis der Standort für eine Lagerstätte für den hochradioaktiven Atommüll gefunden ist.

Jetzt stehen doch wieder Castor-Transporte nach Deutschland an. Zwar nicht nach Gorleben, aber zu den Zwischenlagern Biblis (Hessen), Philippsburg (Baden-Württemberg), Isar (Bayern) und Brokdorf (Schleswig-Holstein). Die Castoren mit hochradioaktivem Atomschrott kommen aus den Wiederaufarbeitungsfabriken La Hague (Frankreich) und Sellafield (Großbritannien), in denen abgebrannte AKW-Brennstäbe auch aus Deutschland recycelt wurden.

Es handelt sich um insgesamt 25 Behälter, fünf aus La Hague und 20 aus Sellafield. Der erste dieser Transporte soll in diesem Frühjahr von Sellafield nach Biblis rollen, im Herbst 2021 wird der Transport von La Hague nach Philippsburg erwartet.

Gegen die Transporte macht das erst vor kurzem gebildete Aktionsbündnis »Castor stoppen!« mobil. In rund einem Dutzend Orte gingen Atomkraftgegner*innen am Sonntag auf die Straße. »Atommüll soll wieder sinnlos von einem Ort zum anderen verschoben werden«, hieß es im Aufruf zu den Protesten. Die Zwischenlager an den AKW-Standorten würden zu ungeeigneten Langzeitlagern, die Hallen seien auch nicht gegen Flugzeugabstürze und den Beschuss mit panzerbrechenden Waffen gesichert.

Nach Ansicht der Anti-Atom-Organisation »Ausgestrahlt« ist es zwar richtig, Atommüll aus deutschen Atomkraftwerken nicht zu exportieren und den, der in anderen Ländern lagert, wieder zurückzunehmen. Doch das solle erst dann passieren, wenn klar sei, wo er dauerhaft gelagert werden könne. Denn ansonsten verdoppele sich die Zahl der gefährlichen Transporte: erst zum Zwischenlager und danach wieder weiter zu einem Endlager.

Zugleich wandten sich die Protestierenden gestern gegen jüngste Versuche von Wirtschaftsverbänden sowie Politikern aus CDU/CSU und FDP, mit Verweis auf die vermeintlich gute CO2-Bilanz von AKW eine Renaissance der Atomenergie in Deutschland herbeizureden. Beim Uranabbau, der Uranerzaufbereitung und -anreicherung werde aber sehr wohl Kohlendioxid freigesetzt, hieß es bei den Kundgebungen. Auch deckten die rund 400 betriebenen Atomkraftwerke auf der Erde aktuell gerade einmal zwei Prozent des Weltenergiebedarfs. Um beim Kampf gegen die Erderhitzung ein Faktor zu sein, müssten innerhalb kurzer Zeit Tausende weiterer Reaktoren gebaut werden - aus Zeit- und Kostengründen eine Illusion. Zudem bleibe die Atomkraft eine Hochrisiko-Technologie.

Die gestrigen Aktionen waren unterschiedlicher Art. In Biblis trafen sich die Demonstranten am Bahnhof und liefen von dort zum abgeschalteten AKW. Eine Theateraktion machte auf den bevorstehenden Castortransport aufmerksam. Im niedersächsischen Salzgitter, wo das frühere Eisenerzbergwerk Schacht Konrad zum Endlager für schwach und mittelradioaktiven Atommüll umgebaut wird, versammelten sich Aktivisten, darunter auch Landwirte mit Traktoren, am Sitz des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE). Angekündigt war für den Nachmittag eine »Protestkundgebung mit Feuertonne und Redebeiträgen«.

In Gorleben umrundeten Umweltschützer am Mittag mit einem »Sonntagsspaziergang« das zurzeit nicht betriebene Erkundungsbergwerk für ein Endlager, viele zogen dann ein paar Meter weiter zum traditionellen »Gorlebener Gebet«. Ein Protestmarsch am baden-württembergischen AKW Neckarwestheim stand unter den Motto »Da bahnt sich was an«. Nur wenige Menschen wüssten, dass die mit »grünem Strom« werbende Deutsche Bahn Mitbesitzer des Atomkraftwerks sei.

Eine Mahnwache fand an der Urananreicherungsanlage im westfälischen Gronau statt. Von dort exportiert die Betreiberfirma Urenco immer wieder abgereichertes Uranhexafluorid nach Russland. Auf dem Gelände der Fabrik stehen bereits seit Dezember wieder Bahnwaggons für weitere Urantransporte. In Weimar verteilten Anti-Atom-Bewegte vor dem Rathaus Flugblätter zu den Castortransporten und in Hamburg informierte das örtliche Anti-Atom-Büro im linken Stadtteilzentrum Rote Flora über die Hintergründe und Routen der bevorstehenden Atommüllfuhren.

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