Wenn der Bote sterben soll

Wikileaks-Gründer Julian Assange wartet im Hochsicherheitsgefängnis auf den Prozess um seine Auslieferung. Doch seine Unterstützer formieren sich.

  • Daniel Lücking
  • Lesedauer: 7 Min.

Ist der Vorwurf einer Vergewaltigung erst einmal geäußert, dann ist es schwierig, selbst unschuldige Menschen davon zu entlasten. Selten aber ist so deutlich belegbar, dass der Vorwurf, dem Julian Assange über neun Jahre lang ausgesetzt war, wohl politisch motiviert war. In einem Interview mit dem Schweizer Onlineportal Republik.ch belegt der UN-Sonderberichterstatter zum Thema Folter Nils Melzer, das der Fall Assange von schwedischen Behörden unverantwortlich behandelt wurde. Der Grund dafür: Druck internationaler Verbündeter, die Julian Assange in die USA überstellt haben wollen, um ihm den Prozess vor dem geheimen Espionage-Gericht zu machen.

Melzer räumt ein, dass auch er sich über lange Zeit von den öffentlichen Anschuldigungen habe blenden lassen. Erst als er sich im Detail den Unterlagen der schwedischen Behörden befasst hat, fielen auch ihm die Ungereimtheiten auf, die er detailliert im Interview schildert. Statt die Kriegsverbrechen zu ahnden, die Wikileaks offen gelegt hat, hat man es auf die Überbringer der schlechten Nachrichten abgesehen.

Nicht im Sinne des Opfers

Am 20. August 2010 sucht die betroffene Frau S.W. eine Polizeistation in Schweden auf. Sie gibt an, sie habe einvernehmlichen Geschlechtsverkehr mit Julian Assange gehabt, sorge sich aber wegen des HIV-Risikos. Sie möchte Assange zu einem HIV-Test verpflichten und hofft auf die Hilfe der Behörden.

Eine weitere Frau, im Interview A.A. abgekürzt, die Julian Assange am Folgetag wegen sexueller Belästigung anzeigte, spielt eine entscheidende Rolle. A.A. war eine Unterstützerin von Assange und arbeitete als dessen Pressesekretärin. Sie hatte gemeinsam mit S.W. die Polizeistation aufgesucht, weil sie dort eine Polizistin kannte. Bis zu diesem Punkt gäbe es wenig Gründe, an den Vorwürfen gegen Assange zu zweifeln. Die Solidarisierung mit den von sexueller Gewalt betroffenen Opfern sollte immer uneingeschränkt sein.

Jedoch: Bereits zwei Stunden nachdem S.W. und A.A. die Polizeistation am 20. August 2010 wieder verlassen haben, berichteten schwedische Medien von einer angeblichen Doppelvergewaltigung.

Melzer belegt, wie diese Situation binnen Stunden durch die schwedischen Behörden in einen Vergewaltigungsfall umgewandelt wird. Ganz und gar nicht im Sinne des angeblichen Vergewaltigungsopfers S.W., die in SMS-Nachrichten an eine Freundin belegbar dokumentiert hat, dass es ihr einzig um den HIV-Test ging.

Die Polizei wird das zweite mutmaßliche Opfer A.A. dann erst am Folgetag befragen. S.W. verweigerte bereits auf der Polizeistation die Unterschrift unter dem Protokoll. In den Tagen nach den Vorwürfen, wie auch in den Jahren danach versuchen Assange und dessen Anwälte ein Verfahren in Gang zu bekommen. Vergebens. Erst als sich Nils Melzer im Oktober 2019 einschaltet, reagieren die Behörden und beenden nach mehr als 9 Jahren den Fall.

Nils Melzer, der die Sachverhalte aufgrund seiner Schwedischkenntnisse anhand der Originalunterlagen prüfen konnte, legt sich fest: »Wir müssen aufhören zu glauben, dass es hier wirklich darum gegangen ist, eine Untersuchung wegen Sexual­delikten zu führen.«

Der eigentliche Fall

Es sind die im Juli 2010 veröffentlichten »Afghan War Diaries« - die Einsatzberichte von US-Truppen in Afghanistan, die als eines der größten Leaks von geheimen US-Dokumenten gelten und nicht nur die USA, sondern auch deren Verbündete tief ins Mark treffen. Auch das Collateral Murder Video, das im April 2010 mit Unterstützung von Wikileaks in US-Medien veröffentlicht wurde, offenbarte das wahre Gesicht des Krieges. Whistleblowerin Chelsea Manning hatte es an Wikileaks übermittelt. Das Video zeigt US-Soldaten im Irak, die wissentlich auf verletzte Menschen und Ersthelfer schossen.

Fortan war der Kurs der US-Regierung, Wikileaks zu kriminalisieren. Wo durch die Kooperation mit deutschen, britischen und US-Medien eigentlich der Schutz der Pressefreiheit oder der Informantenschutz hätte greifen müssen, dominiert nun die Behandlung von Wikileaks als terroristische Vereinigung. Beraterfirmen, wie Stratfor, rieten dazu, Wikileaks und deren Personal über die kommenden Jahre mit Prozessen und Kampagnen einzudecken.

Während Julian Assange angesichts der Vergewaltigungsvorwürfe in engem Kontakt mit den schwedischen Ermittlern blieb, war er auf einer genehmigten Auslandsreise in Großbritannien gezwungen, jegliche Reisen einzustellen. Der Grund: Ein geheimes Verfahren, von dem Assange rechtzeitig erfuhr, hätte zu seiner Auslieferung an die US-Behörden führen können. Assange bleibt fast zwei Jahre in britischem Hausarrest, bis der sich gezwungen sieht, Schutz in der ecuadorianischen Botschaft zu suchen. Dort verbleibt er für die kommenden sieben Jahre, in denen er das Botschaftsgelände nicht verlassen kann und erhält zwischenzeitlich die ecuadorianische Staatsbürgerschaft.

Reisen blieb jedoch weiterhin unmöglich, da Assange den US-Zugriff fürchten musste. Die USA nutzen einen Machtwechsel in Ecuador und mit Druck auf die dortige Regierung verliert Assange die Staatsbürgerschaft und das politische Asyl. Seit dem 11. April 2019 ist Assange nun in Haft im britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh. In den USA wächst die Liste der Vergehen, wegen derer Assange vor dem Spionage-Gericht angeklagt wird stetig an. Auch Chelsea Manning , die bereits am 8. März 2019 wieder inhaftiert wurde, steht unter dem Druck der US-Behörden. Die Beugehaft, die zunächst 62 Tage dauerte, wurde bereits eine Woche später erneut angeordnet. Chelsea Manning bleibt solidarisch und lässt wissen, sie würde lieber verhungern, als gegen Assange auszusagen.

Pressefreiheit unter Druck

Am 27. November 2019 veranstaltet die LINKE im Bundestag eine öffentliche Anhörung unter dem Thema »Medien unter Beschuss«. Neben Nils Melzer sind Vertreter des »Spiegel«, Reporter ohne Grenzen und auch der Vater von Julian Assange, John Shipton, geladen. Die Haftbedingungen, die von Amnesty International als Folter eingeordnet werden, setzten Julian Assange zu. Im Interview mit republik.ch beschreibt Nils Melzer, dass Assange von Mithäftlingen isoliert wird, so dass bei der ohnehin über 23 Stunden am Tag andauernden Einzelhaft nicht einmal während des Hofganges ein Kontakt zu anderen Menschen stattfinden kann.

Nils Melzer macht klar, dass es um Menschenrechte geht: »Assange ist ein Mensch, er hat das Recht, sich zu verteidigen und menschlich behandelt zu werden. Was auch immer man Assange vorwirft, er hat ein Recht auf ein faires Verfahren.«

Mittlerweile solidarisieren sich auch in Deutschland immer mehr Menschen mit Julian Assange und erkennen, welcher Angriff gegen Presse- und Meinungsfreiheit in seinem Fall verübt wird. Am 6. Februar 2020 findet in der Bundespressekonferenz in Berlin ein Appell zur Freilassung von Julian Assange statt. Neben Herta Däubler-Gmelin, Sigmar Gabriel und Gerhart Baum, die als ehemalige Politiker*innen Position beziehen, verleihen auch Investigativjournalist Günter Wallraff und der Schriftsteller Navid Kermani der Forderung Nachdruck. Die Unterstützung aus der Bundestagsfraktion der LINKEN ist groß.

Sevim Dagdelen ordnet ein: »Bereits jetzt ist die schlimme Lehre aus dem Fall Assange, dass jeder der die Wahrheit publiziert, im Westen mit Rufmordkampagnen sowie politischer wie justizieller Verfolgung rechnen muss. Das haben Schweden und Großbritannien im Fahrwasser der USA, wie das brillante Interview von Nils Melzer zeigt, leider auf schlimmste Art und Weise bewiesen. Wer die Freiheit liebt, der muss alles tun, um eine Auslieferung von Assange an die USA zu verhindern. Assange wurde von der US-Administration zum Dissidenten gemacht .«

John Shipton, der Vater von Julian Assange, bittet »Deutschland, das große und mächtige Herz Europas um Unterstützung bei der Verteidigung« seines Sohnes. Melzer hatte im November 2019 bei einem Gespräch mit Vertretern des Auswärtigen Amtes vergebens nach Unterstützung von Seiten der Deutschen Bundesregierung gesucht. Im Interview mit der Zeitung Junge Welt sagte Melzer: » Ich hatte das Gefühl, dass mir das Auswärtige Amt, kurz AA, seine Bedenken darüber mitteilen wollte, dass ich mich so intensiv mit dem Fall beschäftige. Ich wurde wiederholt darauf hingewiesen oder zumindest gefragt, ob nicht andere Themen wichtiger seien für mein Mandat, also das Foltermandat. Ich habe versucht zu erklären, warum es so wichtig ist und dass es sich hier um einen Präzedenzfall handelt. Es geht um Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und die Integrität unserer Institutionen, nicht allein um die Person Assange.«

Andrej Hunko, europapolitischer Sprecher, äußerte sich bereits vergangene Woche und mahnte Großbritannien die Europäische Menschenrechtskonvention einzuhalten, und Assange »ein faires Verfahren und den Schutz vor Folter und unmenschlicher Behandlung« zu gewähren.

Am 24. Februar 2020 beginnt am Woolwich Crown Court in Belmarsh das Verfahren über die Auslieferung von Julian Assange an die USA. Es soll eine Woche verhandelt werden, bevor sich das Gericht bis zum 18. Mai 2020 vertagt, um dann erneut drei Wochen zu verhandeln.

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