Kemmerich mit sofortiger Wirkung zurückgetreten

Ramelow steht für erneute Kandidatur bereit / Bundesregierung für baldige Neuwahl / Ostbeauftragter Hirte zum Rücktritt gedrängt

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Der Thüringer Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP) hat seinen sofortigen Rücktritt erklärt. »Hiermit erkläre ich meinen Rücktritt als Ministerpräsident des Freistaates Thüringen mit sofortiger Wirkung«, teilte er am Samstagmittag mit. Sämtliche Bezüge aus dem Amt, das er nur drei Tage innehatte, werde er an die Staatskasse zurückgeben.

Kemmerich war am Mittwoch mit den Stimmen von CDU, FDP und AfD zum Regierungschef in Thüringen gewählt worden und hatte eine Stimme mehr erhalten als der Rot-Rot-Grün-Kandidat Bodo Ramelow. Dies hatte scharfe Kritik hervorgerufen. Zahlreiche Politiker hatten inzwischen den Rücktritt gefordert. Linke, SPD und Grüne in Thüringen, die bisher regiert hatten und nun eine Minderheitsregierung bilden wollten, hatten Kemmerichs Rücktritt bis spätestens Sonntag verlangt. Dieser hatte den Rücktritt am Donnerstag angekündigt, aber bislang nicht vollzogen. Kemmerich bleibt nach der Landesverfassung geschäftsführend im Amt, bis ein neuer Ministerpräsident gewählt ist.

Linke-Chef Bernd Riexinger twitterte: »Der Kemmerich-Rücktritt ist folgerichtig. Der große politische Flurschaden bleibt. Unverantwortlich und erschreckend, was sich da manche Politiker der CDU und FDP geleistet haben.« SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil twitterte: »Drei lange Tage hat der Mann, der nur mit den Stimmen der rechtsextremen Höcke-AfD ins Amt kam, Thüringen unnötig ins Chaos gestürzt. Dieses miese Schauspiel hat dank klarer Kante nun ein Ende.« Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock erkärte: »Der Rücktritt von Kemmerich ist nur das absolute Minimum. Jetzt muss die CDU sich überwinden und die Wahl von Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten möglich machen.«

Nach Informationen des MDR hatte der ehemalige Thüringer Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) die CDU-Landesspitze vor dem Abstimmungsverhalten der AfD im dritten Wahlgang zur Ministerpräisdentenwahl gewarnt. Althaus habe am vergangenen Sonntag in einer Telefonkonferenz des CDU-Präsidiums gesagt, dass die AfD mit ihrem eigenen Kandidaten nur die »Leimrute« auslege. Laut Konferenzteilnehmern habe er CDU-Landeschef Mike Mohring und dem Präsidum dringend eine Enthaltung im dritten Wahlgang empfohlen. Althaus soll dabei mehrfach appelliert haben, den FDP-Kandidaten Kemmerich nicht zu wählen.

Ramelow steht bereit

Für eine erneute Kandidatur steht der bisherige Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) bereit. Ramelow habe »ein Kabinett, das er nach seiner Wahl berufen kann«, sagte der Vizevorsitzende der Thüringer Linken, Steffen Dittes. Thüringen müsse möglichst schnell eine handlungsfähige Regierung bekommen. Dittes geht davon aus, dass die Ministerpräsidentenwahl von Ramelow noch im Februar im Landtag erfolgen könne. Ramelow hat mit SPD und Grünen bereits ein Programm für eine Minderheitsregierung vereinbart.

Erwartungen habe die Linke allerdings an die CDU und die FDP, die nach dem politischen Beben der vergangenen Tage angekündigt habe, mit dafür zu sorgen, dass es wieder stabile politische Verhältnisse in Thüringen gibt. »Wir haben die Erwartungshaltung, dass Bodo Ramelow im ersten Wahlgang gewählt wird. Das schafft man nicht mit Enthaltungen und einem dritten Wahlgang« sagte Dittes. Die Linke fordere CDU und FDP darum auf, Ramelows Wahl zu unterstützen. Seiner rot-rot-grünen Koalition fehlen vier Stimmen im Parlament. Die Thüringer CDU schließt es allerdings bisher aus, eine Wahl Ramelows aktiv zu unterstützen. Man wolle die Bildung einer neuen Regierung nicht blockieren, hieß es, werde aber einen von der Linken aufgestellten Ministerpräsidenten nicht aktiv ins Amt wählen. Das liefe auf eine Stimmenthaltung der CDU-Fraktion hinaus; Ramelow hätte demnach bei einer erneuten Kandidatur erst im dritten Wahlgang eine Chance, in dem er nur die einfache Mehrheit benötigt.

Bundesregierung macht Druck auf Lindner

Wegen der Thüringer Regierungskrise waren an Sonnabend die an der Bundesregierung beteiligten Parteien der zu einem Sondertreffen des Koalitionsausschusses zusammengekommen. Nun müsse nicht nur rasch ein neuer Ministerpräsident im Thüringer Landtag gewählt werden, hieß es nach dem Gespräch. Die Koalitionspartner seien im übrigen »davon überzeugt, dass unabhängig von der Wahl eines neuen Ministerpräsidenten baldige Neuwahlen in Thüringen erforderlich sind«, hieß es in einer Erklärung.

Die Spitzen der Koalition hatten dem Vernehmen nach vor dem Rücktritt Kemmerichs Kontakt mit dem FDP-Vorsitzenden Christian Lindner. »Regierungsbildung und politische Mehrheiten mit Stimmen der AfD schließen wir aus. Das ist und bleibt die Beschlusslage der die Koalition tragenden Parteien für alle Ebenen«, heißt es in der Erklärung von CDU, CSU und SPD.

Im Zusammenhang mit der Thüringer Regierungskrise ist auch der Ost-Beauftragten der Bundesregierung, Christian Hirte (CDU), zurückgetreten. Dazu hatte ihn Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gedrängt. Hirte, der auch Thüringer CDU-Vize ist, hatte ausdrücklich zur Wahl Kemmerichs gratuliert, ohne auch nur mit einer Silbe die Beteiligung der AfD zu erwähnen.

CDU-Debatte über Verhältnis zur Linkspartei

Inzwischen gibt es in der CDU eine Debatte über den Umgang mit der Linkspartei. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU), der einer Jamaika-Koalition von CDU, FDP und Grünen vorsteht, rät der CDU, eine Regierung mit Beteiligung der Linkspartei unter Umständen zu tolerieren. Die CDU lehne eine Koalition mit der Linkspartei genauso ab wie mit der AfD, sagte das CDU-Präsidiumsmitglied in Kiel am Rande einer Klausurtagung der Spitze der Nord-CDU. »Aber klar ist auch: Wenn Linkspartei und AfD im Landtag eine Mehrheit haben, reicht das als Antwort nicht aus.«

Auch Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) hat von ihrer Partei eine Neubewertung der Linken gefordert. »Unser Äquidistanz-Mantra ist die Wurzel des Übels«, sagte sie dem Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« zur Beschlusslage der CDU. Danach ist jede Kooperation sowohl mit der Linken als auch der AfD untersagt. »Wir werden das so nicht durchhalten«, so Prien. Sie sei überzeugte Antikommunistin, aber »einen respektablen Ministerpräsidenten wie Bodo Ramelow mit einem Herrn Höcke gleichzusetzen, ist eine politische und historische Verzerrung. Diese Realität hätten wir viel früher zur Kenntnis nehmen müssen.« Agenturen/nd

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