Die Schwärme sind förmlich ansteckend

Biologen verstehen inzwischen, wieso Heuschrecken millionenfach auf Wanderschaft gehen. Eine Alternative zu Pestiziden fanden sie noch nicht

  • Steffen Schmidt
  • Lesedauer: 3 Min.

Schon die Bibel erwähnt den Einfall gigantischer Heuschreckenschwärme als eine der zehn Plagen, die das alte Ägypten heimsuchten. Ist es in der Bibel ein strafender Gott, der die Insekten über die Felder herfallen lässt, so ist es in der Realität ein ungünstiges Zusammenspiel von Wetterbedingungen. Denn normalerweise sind die derzeit schwärmenden Wüstenheuschrecken harmlose Einzelgänger. Das ändert sich erst, wenn in den sonst eher trockenen Verbreitungsgebieten am Rande der Sahara oder auf der arabischen Halbinsel durch kräftigen Regen die Vegetation aus dem Boden schießt. Das plötzlich so üppige Nahrungsangebot führt zu einer explosionsartigen Vermehrung der Heuschrecken. Das entstehende Gedränge versetzt die Tiere in Panik, wie der Biologe Iain Couzin vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Konstanz berichtet. Die Tiere hätten Angst, von ihren Artgenossen vertilgt zu werden. Im Gedränge sondern die Insekten den Botenstoff Serotonin ab. Im Ergebnis verwandeln sich die Tiere. Sie wechseln Farbe und Verhalten. »Aus vorsichtigen, verborgen lebenden Einzelgängern werden innerhalb weniger Stunden Draufgänger voller Bewegungsdrang«, sagt Couzin. Die Bewegung der Schwärme sei im Grunde eine einzige Flucht vor den Artgenossen. Auch das Nahrungsspektrum ändert sich, sobald die Heuschrecken im Schwarm unterwegs sind. Während einzeln lebende Tiere giftige Pflanzen meiden, werden sie im Schwarm zur normalen Nahrung, möglicherweise auch um Fressfeinde abzuschrecken.

Dabei können Heuschrecken beträchtliche Entfernungen zurücklegen. So flogen Heuschrecken nach einer Massenvermehrung in Mauretanien im Jahre 1988 bis in die Karibik - 5000 Kilometer übers Meer. Treffen die schwärmenden Heuschrecken auf ihrem Weg weitere, noch sesshafte Artgenossen, dann werden diese umgehend ebenfalls in Schwarmtiere verwandelt, sagt Max-Planck-Forscher Couzin. Der Schwarm sei förmlich ansteckend.

Die Schwärme lösen sich in der Regel erst wieder auf, wenn ihnen die Nahrung ausgeht, wenn also so viele der Tiere verhungern, dass für die übrigen die schwarmauslösenden Reize verschwinden. Die zurückgebliebene Individuen verwandeln sich nach einiger Zeit wieder in völlig unscheinbare, harmlose Grashüpfer.

Wenn die Schwärme also erst einmal in Bewegung sind, kann man sie nur noch mit einem großflächigen und koordinierten Einsatz von Pestiziden bekämpfen. »Die einzelnen Bauern sind praktisch machtlos. Sie können nur zusehen, wie ihre Felder abgefressen werden«, sagte der Insektenforscher Stefan Diener bei der Schweizer Stiftung Biovision dem Frankfurter Magazin »welt-sichten«. Der Pestizideinsatz ist allerdings nicht nur problematisch wegen der Giftigkeit der eingesetzten Mittel. Im Bürgerkriegsland Somalia ist der Einsatz von Sprühflugzeugen schlicht zu riskant, in den anderen ostafrikanischen Ländern fehlen solche Flugzeuge.

Am effektivsten lassen sich die Schwärme in ihrem Anfangsstadium bekämpfen, also bevor sie ausschwärmen. Deswegen hatte die Welternährungsorganisation FAO schon vor Jahren in Westafrika Versuche mit einem Frühwarnsystem gemacht. Dabei nutzten sie Wettervorhersagemodelle und Satellitendaten, um das Auftreten solcher Schwärme vorherzusagen. In Ostafrika gab es derlei nicht. Die letzten Heuschreckenplagen dort lagen mehr als 25 Jahre zurück

Auch wenn die Wetterphänomene, die die aktuellen Heuschreckenplagen in Ostafrika und Südasien auslösten, nichts mit dem Klimawandel zu tun haben, kann dieser die Probleme verschärfen, meint Diener. Wenn sich aber Trocken- und Regenzeiten wegen der Erderwärmung verschieben, habe dies auch Einfluss auf die Wanderheuschrecken.

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