Rot-gelb-Westen

Die Beziehung zwischen Gewerkschaften und Gilets Jaunes erklärt ein neuer Sammelband

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.

Über die französische Gelbwestenbewegung wurden in den letzten Monaten zahlreiche Bücher veröffentlicht. Doch der kürzlich im Verlag »Die Buchmacherei« herausgegebene Sammelband mit dem Titel »Gelb ist das neue Rot« steuert neue Aspekte bei.

Das ist dem Herausgeber Willi Hajek zu verdanken, der lange Jahre in Deutschland in gewerkschaftlichen Zusammenhängen aktiv war und seit einigen Jahren in Marseille lebt. Er hat gute Kontakt zu Aktivist*innen der Gelbwesten und Gewerkschaften, deren Texte in dem Buch veröffentlicht wurden. Die zehn Aufsätze drehen sich in erster Linie um das spannungsgeladene Verhältnis zwischen Gewerkschaften und Gelbwesten. Vor allem aber machen die Beiträge deutlich, dass die Gelbwestenproteste keineswegs aus dem Nichts gekommen sind, wie in vielen Medien immer wieder zu lesen war.

Hajek erinnert an die jüngere Geschichte der sozialen Proteste in Frankreich. Da wären die großen Streiks im Jahr 1995 zu nennen, die Frankreich über Wochen beschäftigten. 2016 haben die Platzbesetzungen der Bewegung auch in Deutschland für kurze Aufmerksamkeit gesorgt. Hingewiesen wird in dem Buch auch auf Texte wie »Der kommende Aufstand« aus dem anarchistischen Spektrum und »Empört Euch« von Stéphane Hessel.

Diese Texte wurden auch in Deutschland vor allem im Feuilleton linksliberaler Medien eifrig diskutiert. Aktionen wie Nuit Debout wurden, ebenso wie die Gelbwestenbewegung, auch in der hiesigen linken Debatte vor allem soziologisch analysiert, bis man sich dem nächsten Protestphänomen zuwendet. Die Stärke der von Hajek herausgegebenen Texte besteht darin, dass sie keine Sicht von außerhalb der Bewegung wiedergegeben. Alle Autor*innen sind an der Basis von Gewerkschaften aktiv und haben sich sehr früh an den Protesten der Gelbwesten beteiligt. Sie beschreiben so sehr gut, warum das Verhältnis zwischen beiden so schwierig war und teilweise immer noch ist.

Dabei beziehen sie sich nicht nur auf die Verhältnisse in Frankreich, vieles ist auch auf Deutschland übertragbar. Da wird von Gewerkschaftsdemonstrationen gesprochen, die so berechenbar wie harmlos sind. Polizei ist kaum zu sehen, aber auch nur wenige junge Menschen. Die Demonstrant*innen machen nicht den Eindruck, dass ihnen ihre Aktivitäten Spaß machen. Im Gegensatz dazu stehen die Aktionen der Gelbwesten, die trotz der ständigen Polizeirepression im wahrsten Sinne sehr lebendig sind.

Auf besetzten Verkehrskreiseln, den ersten Versammlungsorten der Aktivist*innen, wurde Ball gespielt und getanzt. Die Protestierenden diskutierten an den langen Abenden an der Feuertonne über ihr Leben und über ihre Sicht auf die Welt. Menschen, die zuvor konservativ wählten und die Bewohner*innen der Banlieues, der Vororte der französischen Großstädte, verachteten, kamen so zu völlig neuen Erkenntnissen. Die Polizeigewalt bei den Protesten vereint sie mit jenen, die in den Banlieues alltäglich dieser Form von Gewalt ausgesetzt sind. Auf dieser Grundlage beteiligten sich Banlieue-Aktivist*innen, die Gerechtigkeit für von Polizeikugeln getötete Jugendliche fordern, an den Gelbwestenprotesten.

Mehrere der Basisgewerkschaftler*innen sehen in der Gelbwestenbewegung eine Suche nach neuen kollektiven Protestformen, nachdem die Arbeitsverhältnisse immer individualisierter werden und die Zeiten der Großfabriken mit ihren starken Betriebsgewerkschaften der Vergangenheit angehören. Diese Probleme kennen auch Gewerkschaftler*innen in Deutschland. Es wäre zu hoffen, dass man nicht immer neue Protestevents aus Frankreich konsumiert und diskutiert, sondern sich fragt, was sie mit dem eigenen Alltag zu tun haben.

Willi Hajek (Hg.): Gelb ist das neue Rot. Gewerkschaften und Gelbwesten in Frankreich. Verlag Die Buchmacherei, 100 S., 7,50 €.

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