Die Inseln des Ichs

Eine Traumvilla mitten im Elend: Der Roman »Mondbeben« von Ludwig Fels fasziniert und klingt lange nach

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 3 Min.

Zwei Geschichten in eine verwoben: Ein Paar kam zusammen, weil er sie gegen ihren gewaltsamen Ehemann verteidigte - unverhältnismäßig, wie das Gericht befand. Helen ließ sich scheiden und heiratete Olav noch im Gefängnis.

• Buch im nd-Shop bestellen
Ludwig Fels: Mondbeben.
Jung und Jung, 310 S., geb., 24 €.

Vereint in Freiheit, soll für die beiden ein neues Leben beginnen. Durch eine Erbschaft plötzlich vermögend, reisen sie auf eine südliche Insel, wo sie sich eine Villa kaufen wollen. Verlockt per Internet - das kann nicht gut gehen, wie wir ahnen. Dabei ist schon die rührende Anhänglichkeit der beiden - Liebeserklärungen auf fast jeder Seite - überschattet von Zukunftsängsten. Er befürchtet eine ernste Erkrankung, sie den Verlust eines Auges, nachdem …

Womit wir schon beim beängstigenden Geschehen auf dieser »Insel der Inseln« wären, die Ludwig Fels Zifere Island nennt. Atmosphärisch dicht beschreibt er den Traum und das Erwachen, das Befremden und das Erschrecken. Lesend versetzt man sich in die beiden hinein, fühlt mit, wie sie stolpern und fallen. Hätte man sich anders verhalten an ihrer Stelle? Trink nicht so viel, sagt man in Gedanken zu Olav, immer wieder, ehe man sich klarmacht, dass der Mann hoffnungslos dem Alkohol verfallen ist. Wen hast du dir da ausgesucht, flüstert man Helen zu.

Vielleicht aber war er der Beste, den sie haben konnte. Ihr Retter, ihr Prinz. Und wie er kämpft! Kommen die Liebenden noch irgendwie heraus aus der Falle? Indes, welche Anmaßung! Anzurücken mit einem Packen Banknoten in der Tasche, um sich ein noch schöneres Leben zu kaufen, als sie es zu Hause hatten. Und das Elend um sie herum stört sie nicht?

Wie Ludwig Fels sie mitfühlend begleitet, ist es ein Balanceakt, weil man vielleicht erst allmählich Distanz findet zu ihrem (doch allgemein üblichen) Touristenhochmut und dem Erstaunen, dass es jenen an Respekt gebricht, die sie insgeheim wie selbstverständlich für Bedienstete halten. Was das für Zustände seien, mag man sich mit ihnen zusammen empören. So schutzlos möchte man nicht sein vor krimineller Staatsgewalt und gewaltbereiten Kinderbanden. Die schrecklichen Bilder getöteter Menschen mögen im Fernsehapparat bleiben. Aber so wie Helen und Olav davon betroffen sind, werden auch wir sie nicht wegschieben können. Und es gibt ja auch noch andere - den Arzt Dr. Chalie, den Makler Mr. Moses, Police Officer Gakee, die Prostituierte Assumpta, ihre kleine Tochter Cisilia -, die, unterschwellig fast, ihre eigenen Sichtweisen einbringen.

Ludwig Fels erzählt mitreißend, packend. Die aktionsreiche Handlung hält in Atem. Dabei sind die Nachwirkungen immens. Das Buch lässt einen nicht los. Die ganze Welt und darin Inseln des Ichs. Persönliche Wünsche nach gutem, langem Leben. Tanzen, umgeben von schwieriger Wirklichkeit, ein Dennoch. Und die anderen - ob neben einem oder ganz weit weg?

Alles ist miteinander verbunden, im Guten wie im Bösen. Im Hafen von Zifere Island kann man den Blick nicht losreißen von einem Denkmal für die Sklaven, die hier, in einer Grube in Eisen geschmiedet, auf ihren Abtransport warteten; Skulpturen aus Bronze, inzwischen von lauter Unrat bedeckt. Wenn sich die Sklaven erheben, wird es für ihre Peiniger nicht lustig. Olav und Helen sind in einen Kampf geraten, in dem es ums Überleben geht, aber auch um Würde und Widerstand. Gute Sitten? Nicht zu erwarten von Hungernden, ohne Dach überm Kopf.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal