Nächster Versuch, gemäßigt links

Keir Starmer ist neuer Vorsitzender der Labour-Partei

  • Johanna Bussemer
  • Lesedauer: 5 Min.

»Wir müssen unsere Bewegung wieder vereinen«, verkündeten der neu gewählte Chef der Labour-Partei Keir Starmer und seine Stellvertreterin Angela Rainer wenige Stunden nach ihrer Wahl am Samstag. Ob dies gelingen wird, ist offen. Möglich ist, dass mit der Wahl Starmers nicht nur die Ära Corbyn endet, sondern auch die der engen Verbindung zwischen Labour und den sozialen Bewegungen in Großbritannien.

Diese waren es, die den Umbau Labours vom ultra-sozialdemokratischen Projekt unter Tony Blair hin zur größten linksorientierten Partei in Europa maßgeblich vorangetrieben haben. In Großbritannien wäre allerdings gerade - in der gefährlichen Mischung aus Corona-Pandemie und Boris Johnsons Schlagwortpolitik - nichts wichtiger als eine starke Opposition, die die Interessen der Vielen vertreten kann und insbesondere die Bedürfnisse der Armen auf die Agenda setzt.

Am Wahlergebnis für die Nachfolge von Jeremy Corbyn überraschte nur eines: die Eindeutigkeit. Umfragen unter Labour-Mitgliedern hatten den Gewinner Keir Starmer bereits seit längeren eindeutig vor seinen Konkurrentinnen Rebecca Long-Bailey und Lisa Nandy gesehen. Dass Starmer aber bereits im ersten Wahlgang mit 56,2 Prozent der abgegebenen Stimmen eine absolute Mehrheit erreichen würde, war nicht absehbar gewesen. Mit der Entscheidung der Mehrheit der Labour-Mitglieder und -Unterstützer endet auch die Ära Corbyn. Obwohl Keir Starmer und seine Unterstützerinnen als pragmatisch-links innerhalb der Labour-Partei charakterisiert werden können, ist klar, dass Starmer nicht in allen Bereichen an die Politik seines Vorgängers anknüpfen wird. So hat er bereits angekündigt, mit der Regierung in der Coronakrise zusammenzuarbeiten und sich den Antisemitismus-Problemen von Labour zu stellen.

Favorisierte Kandidatin von Corbyns Führungsriege war Rebecca Long-Bailey. Noch bis Ende Januar konnte die sich, wie auch Lisa Nandy, Chancen im Rennen um den Labour-Vorsitz ausrechnen. Long-Bailey hatte es in den vergangenen Jahren geschafft, sich thematisch als Mitglied von Corbyns Schattenkabinett für den Bereich Wirtschaft, Industrie und Energie gut aufzustellen. Es gelang ihr, das Projekt »Green New Deal« auf dem Labour-Parteitag in Brighton mit Billigung des Gewerkschaftsflügels zentral im Parteiprogramm zu verankern.

Lisa Nandy erreichte bei den Wahlen im Dezember 2019 einen Achtungserfolg, als sie ihren Wahlkreis Wigan verteidigen konnte, als drum herum die sogenannte »Rote Wand« fiel. Viele der seit Jahrzehnten für Labour als sicher geltenden Wahlkreise gingen damals an die Tories verloren. Mit den Ergebnissen von 27,6 Prozent (Long-Bailey) und 16,2 Prozent (Nandy) gelang es jedoch leider wieder keiner Frau, an die Spitze der Labour-Partei zu kommen. Immerhin konnte sich mit Angela Rayner eine Frau als stellvertretende Parteivorsitzende durchsetzen. Sie erhielt dafür 52,6 Prozent im dritten Wahlgang.

Dave Prentis, Generalsekretär von Unsion, der mit über 1,4 Millionen Mitgliedern größten Gewerkschaft des Landes, lobt Rayner. Deren Aufstieg zur stellvertretenden Vorsitzenden sei »ein enormer Moment für Unison und die Partei. Angela ist wirklich eine von Unseren, eine Pflegekraft, die Gewerkschafterin wurde und dann Parlamentsabgeordnete.«

Weniger euphorisch reagierten die beiden, große soziale Bewegungen repräsentierenden Gruppen Momentum und The World Transformed (TWT) auf das neue Führungsduo. Die 40 000 Mitglieder starke Bewegung Momentum war rund um die Wahlen 2019 und die daraus resultierenden Vorsitzendenwahlen nach zahlreichen internen Rangeleien um die demokratische Verfasstheit der Organisation in eine Richtungsauseinandersetzung gerutscht.

Das Netzwerk TWT nutzte den Tag der Wahl vor allem, um sich enthusiastisch von seinem Wegbereiter Corbyn zu verabschieden: »Jeremy Corbyns Vorsitz hat Tausende in die Politik gebracht und einen Platz für die Linke eröffnet, in und außerhalb der Partei, aber mit radikalen Ideen. Das wird unsere Flugbahn für die kommenden Jahre schärfen. Danke, Jeremy Corbyn!« Beide Bündnisse werden sich neu orientieren müssen, da ihre Organisationen maßgeblich rund um den Hype um Corbyn nach dessen Antritt entstanden.

Wichtigster Verbündeter der Bewegungen war oft jedoch gar nicht Corbyn selbst, sondern der erfolgreiche Architekt des Bündnisses von Partei, Bewegungen und Gewerkschaften, der Schattenkanzler John McDonnell. Er wird in seiner Funktion als Vertrauensperson vieler Lager und genialer Stichwortgeber für die Programme der Partei seit 2017 unter Umständen noch mehr fehlen als Corbyn selbst.

Das Lager um Keir Starmer und Angela Rayner wird nun versuchen müssen, auf wichtige Gruppen innerhalb der Partei und in ihrem Umfeld zuzugehen. Das sind neben bewegungsorientierten Bündnissen vor allem die Abgeordneten aus Nordengland, die jene Wahlkreise repräsentieren, in denen sich eine Mehrheit für den Brexit ausgesprochen hatte. Sie haben stets für ein Verständnis dieser Position geworben und damit auch eine eindeutige Pro-EU-Position der Partei verhindert.

Keir Starmer hat sein Handeln als Brexit-Schattenminister im Kabinett Corbyn einerseits viel Respekt eingebracht, da er durch kluge juristische Schachzüge einige Manöver Theresa Mays verhindern konnte. Andererseits stand Starmer auch wie kaum ein anderer in Corbyns Kabinett für einen EU-freundlichen Kurs und hat sich stets für ein zweites Referendum eingesetzt.

Starmer und Rayner müssen nun rund um die Coronakrise schnell und sichtbar das Profil von Labour schärfen und dabei versuchen, neben den Gewerkschaften auch die Bewegungen zu repräsentieren. Dazu sollten sie versuchen, die Entscheidungen der neuen Führung transparenter zu kommunizieren. Wenn das gelingt, kann die akute Krisensituation den angekündigten Einigungsprozess unterstützen. Dann könnte Labour den Handschuh auch wieder in den Ring werfen und erhobenen Hauptes in die nächsten Wahlen ziehen.

Die Autorin ist Leiterin des Europareferates der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

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