Plasmazellen, die den Feind erkennen

Noch lässt sich der Covid-19-Erreger nur gentechnisch nachweisen. An schnelleren Antikörpertests wird gearbeitet.

  • Reinhard Renneberg und Susanne Kreimer
  • Lesedauer: 4 Min.
Wo liegt die tatsächliche Sterblichkeitsrate bei Covid-19? Epidemiologen können sie bislang nicht genau beziffern, weil viele Infizierte entweder gar keine Symptome entwickeln oder mit leichten Symptomen nicht zum Arzt gehen. Es fehlt den Modellierern der Pandemie der genaue Divisor, um den exakten Quotienten zu ermitteln: Die Zahl der bedauerlicherweise am Coronavirus verstorbenen Menschen geteilt durch die Zahl aller Infizierten. Und genau diese Zahl, die Zahl aller Infizierten, bleibt bisher unklar.
Das Fehlen dieser Information ist ein großes Problem bei der Festlegung von Gegenmaßnahmen. John Ioannidis von der Stanford University argumentierte Mitte März, dass die wahre Sterblichkeitsrate niedriger sein könnte als bei der saisonalen Grippe (in Deutschland liegt die Anzahl der Verstorbenen durch Influenza nach Schätzungen bei 15 000 bis 25 000 Menschen pro Jahr). Wäre das aber der Fall, würden weltweit gerade aufgrund absolut unzuverlässiger Daten drakonische Gegenmaßnahmen beschlossen, so der Forscher. Und Virologen aus Großbritannien, den USA und China schreiben im US-Fachjournal »Science«, dass zu Beginn des Ausbruchs nur eine von fünf oder gar nur eine von zehn tatsächlichen Infektionen dokumentiert worden sei.
Einfach, schnell, aussagekräftig
Ein bereits seit Monaten etablierter diagnostischer Test sucht mittels der Polymerase-Kettenreaktion (PCR) in Nasen- oder Rachenabstrichen direkt nach RNA, dem genetischen Material des Virus. Wird dieses nachgewiesen, wissen wir, ob der Patient gerade mit dem neuen Coronavirus infiziert ist. Das Problem dabei: Der Test dauert lange und braucht ein Labor.
Einfacher, schneller und sogar aussagekräftiger wären Antikörper-Schnelltests: Diese Tests können verraten, ob jemand vor Kurzem Kontakt mit dem Virus hatte oder ob diese Infektion schon vor Monaten abgelaufen ist. Er sagt aber auch, ob die Person noch keinen Kontakt mit dem Keim hatte.
Wenn jemand exponiert war, so bildet die Immunabwehr Antikörper gegen den Virus. Diese sind im Blut nachweisbar. So könnte beispielsweise auch (wie zur Zeit in klinischen Studien erprobt wird) das Blut bereits immunisierter Menschen verwendet werden, um die Immunabwehr von akut erkrankten Patienten zu verstärken (»boostern«). Die fertigen Antikörper würden schon mit Kampf gegen das Virus beginnen.
Mit einem Antikörpertest können Ärzte, Krankenschwestern und Mitarbeiter des Gesundheitswesens erfahren, ob sie bereits exponiert waren bzw. schon immun sind. Wer aufgrund des Tests von einer Immunität ausgehen kann, könnte theoretisch wieder an die Virus-Abwehrfront eilen, ohne sich große Sorgen über eine Infektion machen zu müssen.
Zwei Klassen von Antikörpern
Wie funktioniert so ein Schnelltest? In unserer Grafik wird das vereinfacht erklärt: Gleich nach der Infektion bildet unser Immunsystem Immunglobulin M (IgM). Das sind Moleküle mit fünf Y-förmigen Untereinheiten, wovon jede Antigene (also z. B. Teile der Virushülle) binden kann. Der Körper beginnt nach Kontakt mit dem Virus mit der Produktion dieser IgM. Das Auftauchen von IgM im Blut heißt also: »Alarm! Frischer Virusinfekt!«
Dann kommt es nach einigen weiteren Tagen zum sogenannten Klassenwechsel. Dies bedeutet, dass eine weitere Klasse von Antikörpern gebildet wird, das Immunglobulin G (IgG). Dieses sieht aus wie ein einzelnes Ypsilon. Die Produktion dieser Antikörperklasse tritt nach dem Erstkontakt mit dem Virus verzögert auf. Kommt es aber zu einem erneuten Kontakt mit dem Krankheitserreger, so sind die Antikörper bereits nach 24 bis 48 Stunden nachweisbar. Darauf beruht auch der Mechanismus einer Impfung: Den Plasmazellen, welche die Antikörper herstellen, wird die Herstellung von Antikörpern gegen eine bestimmte Infektion »beigebracht«. Diese »Gedächtniszellen« erkennen, sobald sie erneuten Kontakt haben, den Feind sofort und wissen genau, wie sie ihn in die Flucht schlagen müssen.
Aber zurück zum Test: Da die Antikörper nicht sofort nach dem Kontakt gebildet werden, sondern erst nach einigen Stunden bis Tagen, und bei jedem Mensch die Inkubationszeit (also die Zeit von der Infektion zur Entwicklung von Symptomen) differiert, wäre es wünschenswert, die bereits etablierte PCR-Methode mit der Antikörperbestimmung zu koppeln. Und dann müsste man diese Diagnostik am besten nach Verschwinden der Krankheitssymptome nochmals wiederholen. Denn mit keinem der beiden Testverfahren, weder mit PCR noch mit Antikörpertests, kann das Vorliegen einer akuten Infektion sicher ausgeschlossen werden. Während sich genetisches Material des Virus sicher erst drei bis fünf Tage nach der Infektion nachweisen lässt, sind die ersten Antikörper erst nach fünf bis sechs Tagen zu finden.
Wir wissen aber auch, dass sich die Symptome von Individuum zu Individuum sehr unterschiedlich ausprägen können: Manche Patienten scheinen keine Symptome zu haben, andere entwickeln nur leichte Symptome und wieder andere stark ausgeprägte Lungenentzündungen.
Also sollten wir, um die Zahl aller Erkrankten und damit die exakte Sterblichkeitsrate zu ermitteln, möglichst viele Menschen »screenen«, ob symptomatisch oder nicht. Die in Entwicklung befindlichen Antikörpertests brächten dann die gute Nachricht: Wir hätten exakte Zahlen zur Durchseuchung und den betroffenen Personengruppen, genaue Sterblichkeitszahlen und wüssten den Immunstatus der einzelnen Individuen.
Derzeit ist nach Angaben des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein die Zahl der unerkannt ausgeheilten Erkrankungen in der Gesamtbevölkerung zu selten, »sodass ein Flächenscreening zur Erkennung von immunen Personen, auch angesichts der knappen Ressourcen bei den Testherstellern, zum gegenwärtigen Zeitpunkt wenig sinnvoll erscheint«.
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