Die Verärgerung ist groß

Spanien reduziert Corona-Maßnahmen trotz umfangreicher Kritik

  • Ralf Streck
  • Lesedauer: 3 Min.

Offiziell hat die spanische Regierung den Alarmzustand im Land gerade bis zum 26. April verlängert. Real steht aber die Rückkehr zum abgeschwächten Alarmzustand an, wie er am 14. März verkündet wurde. Zu Beginn der Krise hatte es erst Tausende Tote und massive Kritik von Experten gebraucht, bis die Regierungskoalition aus Sozialdemokraten und Podemos einen Lockdown verkündete, bei dem nur noch die Basisversorgung gesichert wurde.

Doch nicht einmal zwei Wochen sind seither vergangen, da lockert die Regierung die Maßnahmen schon. So gingen die Menschen am Montag wieder zur Arbeit und liefen Gefahr, sich zumindest im öffentlichen Nahverkehr anzustecken. In Katalonien und im Baskenland sollen die Lockerungen am Dienstag eintreten. Es muss befürchtet werden, dass die Infektionsketten, die mühevoll unterbrochen wurden, nun wieder aktiviert werden.

Italien hat den Lockdown derweil erneut verlängert, obwohl sich dort - anders als in Spanien - schon länger die Tendenz einer Abschwächung bei den Todeszahlen zeigt. Vermutlich erst nächsten Freitag wird die Conte-Regierung leichte Lockerungen verkünden. Das Land hatte zuletzt eine höhere Zahl von neuen Infektionen registriert, und die Zahl der Todesfälle verharren in Italien weiter auf hohem Niveau. In Spanien gibt es aber nicht einmal eine klare Tendenz zur Abschwächung, bestenfalls eine Stabilisierung. Nach einem angeblichen Rückgang der Todesfälle am vergangenen Wochenende stieg die offizielle Zahl, ohnehin massiv geschönt, da Tote in der eigenen Wohnung oder in Altenheimen nicht gezählt werden, im Laufe der Woche wieder deutlich an.

Es ist bezeichnend, wenn sogar die regierungsnahe Zeitung »El País« wie am Donnerstag titelt, dass »Spanien unfähig ist, die Coronavirus-Opfer zu zählen«. Bei der Zeitung wird sogar von einer noch höheren Übersterblichkeit ausgegangen, als das Medium Telepolis mit Leserunterstützung berechnet hatte. Und es spricht Bände, dass das Justizministerium von den Gemeinden reale Daten zu Beerdigungen übermittelt haben will, weil es massive Zweifel an bisherigen Corona-Todesfällen gibt. Allein in Madrid gab es in der zweiten Märzhälfte mehr als 9000 Beerdigungen, obwohl es in diesem Monat sonst durchschnittlich nur 4000 sind.

Auch am Sonntag wurden in Spanien wieder 619 offizielle Coronavirus-Tote gemeldet, nach 683 am Donnerstag. Offiziell registriert Spanien schon fast 16 000 Tote, real liegt die Zahl aber deutlich darüber. Umgerechnet auf die Bevölkerung ist Spanien sogar mit offiziellen Zahlen von 311 Toten pro Million Einwohner inzwischen Weltmeister. Angesichts der Lockerungen ab Montag darf nun davon ausgegangen werden, dass Spanien die offizielle italienische Zahl von nun gut 18 000 überschreitet und dem Land auch diesen Spitzenplatz abnehmen wird.

Das Vorgehen Spaniens widerspricht außerdem den Vorgaben der EU-Kommission. »Jede schrittweise Lockerung der Ausgehbeschränkungen wird unausweichlich zu einer Steigerung neuer Fälle führen«, hatte Brüssel in einem Papier dargelegt, aus dem die Nachrichtenagentur dpa zitiert. Auch die europäische Gesundheitsbehörde ECDC meint, dass der Höhepunkt der Pandemie noch nicht erreicht ist. Erwartet wird eine weitere Ausbreitung. Es sei zu früh, um plötzlich alle Maßnahmen zur Vermeidung körperlichen Kontakts in der Region aufzuheben.

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