Brandstiftung im Sperrgebiet
In der Nähe der Atomruine Tschernobyl brennt der Wald - sind die Sorgen von Umweltschützern übertrieben?
»Die Situation ist schwierig. Wirklich schwierig. Doch sie ist kontrollierbar«, sagte Behördensprecherin Olga Kosak gegenüber dpa zu den Waldbränden im Raum Tschernobyl. Sie verwies darauf, dass der Wind Probleme bereite, doch habe man berechtigte Hoffnung, dass Regen den nahezu 500 Einsatzkräften, die seit einer Woche mit schwerer Technik gegen das Inferno kämpfen. Tatsächlich meldete die Feuerwehr am Dienstag erste Löscherfolge bei den Bränden in der radioaktiv belasteten Sperrzone um das Atomkraftwerk Tschernobyl.
Dennoch ist es nicht einfach, an die Hotspots heranzukommen. Im Laufe der Jahre sind in dem unbewohnten Gebiet Zufahrtsstraßen zugewachsen. Daher sind auch Löschflugzeuge und Hubschrauber im Einsatz.
Zum Ausmaß der Brände gibt es kaum verlässliche Auskünfte. Satellitenbilder, die eine Woche alt sind, zeigen, dass ein Gebiet von etwa 3500 Hektar innerhalb des Sperrgebiets in Flammen standen. Offenbar fraßen sich die Flammen weiter voran durch das trockene Gehölz. Inzwischen ist der Rauch sogar im etwa 100 Kilometer entfernten Kiew zu spüren. Computergrafiken des Staatlichen Instituts für Nuklearsicherheit, die am Montag veröffentlicht wurden, zeigen, dass die mit radioaktiven Partikeln angereicherte Rauchwolke am Dienstagmorgen die ukrainische Hauptstadt erreichte.
Panik in Pandemie-Zeiten, das fehlte noch! Auch wenn es keine verlässlichen Opferzahlen gibt, Tatsache ist: Seit dem Atomunfall Ende April 1986 in dem damaligen sowjetischen AKW bietet Tschernobyl jede Menge Potenzial für weitreichende Besorgnis. Der unmittelbaren Explosion fielen damals 31 Menschen zum Opfer. Tausende der sogenannten Liquidatoren, die anfangs mit bloßen Händen radioaktive Trümmer wegräumten, starben elendig. Zehntausende leiden an den Spätfolgen. In der Ukraine wurden rund 50 000 Quadratkilometer radioaktiv verseucht. Im benachbarten Weißrussland misst die kontaminierte Fläche 46 500 Quadratkilometer. 19 russische Regionen waren unmittelbar betroffen. In Finnland, Schweden, Norwegen, Bulgarien, Rumänien, Polen, in den beiden deutschen Staaten sowie in Österreich und Jugoslawien wurden besorgniserregende Werte gemessen. Bis nach Irland und Portugal waren Auswirkungen spürbar.
Seit Tagen weist der ukrainische Katastrophenschutz Schilderungen von wirklichen oder selbst ernannten Umweltschützern zurück, laut denen die derzeit wütenden Brände außer Kontrolle geraten seien und sich der verlassenen Stadt Pripjat, der in einem Sarkophag eingeschlossenen Kraftwerksruine sowie mehreren Lagerstätten von radioaktivem Material näherten. Die Grenzwerte für radioaktive Strahlung seien in den besiedelten Gebieten, die an das Sperrgebiet grenzen, nicht überschritten worden, versicherte die zuständige Zonenverwaltung am Wochenende. Allerdings lassen in der Nacht vom Kraftwerk aus aufgenommene Fotos von der gigantischen Flammenwand Gefahren erahnen.
Das deutsche Bundesamt für Strahlenschutz beobachtet die Situation in der Ukraine bereits seit Bekanntwerden der Brände am 4. April kontinuierlich. Die Experten wissen offenbar, dass »in der direkten Umgebung der Brände (in oder nahe der Rauchfahne)« erhöhte Strahlenwerte gemessen wurden. Gemeinsam mit Kollegen des Deutschen Wetterdienstes führen sie Messungen durch, vergleichen deren Werte mit denen aus anderen Staaten und aktualisieren Prognosen. Eine durch Simulation erstellte lautet: »Selbst bei ungünstigen Wetterverhältnissen und deutlich größeren Waldbränden als jetzt wären die Auswirkungen äußerst gering.«
Ganz so unproblematisch ist die Situation vor Ort freilich nicht. In den vergangenen Jahren gab es bereits mehrfach Brände rund um die Atomruine. Als Ursache wurde zumeist Brandstiftung vermutet. Vor einigen Tagen nahm die Polizei einen 27-Jährigen fest, der für den aktuellen Brand verantwortlich sein soll. Das Parlament beschloss auf einer Sondersitzung höhere Strafen für Brandstiftung. Präsident Wolodymyr Selenskyj wandte sich via Fernsehen mahnend an all jene Bürger, »die im 21. Jahrhundert noch immer Gras verbrennen und damit schreckliche Feuer verursachen«.
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