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Anpfiff zur Seuchensaison

Mitte Mai geht es wieder los. Die Fußball-Bundesliga hat das geisterhafte Ende der aktuellen Saison terminiert

  • Frank Hellmann, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 4 Min.

Unzählige Telefonate, Videoschalten, Gespräche und E-Mails in den vergangenen Wochen sind auch an Christian Seifert nicht spurlos vorüber gegangen. Mit enormer Erleichterung, aber auch mit mahnendem Unterton verkündete der Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga (DFL) am Donnerstag die neuen Rahmendaten der am 13. März unterbrochenen Bundesligasaison. Am Samstag, den 16. Mai soll wieder der Ball rollen, am Wochenende 27./28. Juni die Spielzeiten in erster und zweiter Liga beendet werden. »Für manche Klubs bedeutet die Entscheidung das wirtschaftliche Überleben«, sagte der Chefstratege des deutschen Profifußballs. Niemand dürfe nun diesen Vertrauensvorschuss verspielen. »Jedem in der Liga muss klar sein, dass wir auf Bewährung spielen.« Jeden Spieltag müsste man sich neu verdienen. Die Umsetzung des mühsam modellierten Hygiene- und Sicherheitskonzepts sei, sagte Seifert mit Nachdruck, in jedem Verein bitteschön »Chefsache«.

Untergebracht sind im neuen Terminplan zwei sogenannte Englische Wochen mit drei Spielen binnen sieben Tagen. Die beiden DFB-Pokal-Halbfinals werden in absehbarer Zeit vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) terminiert, das Nachholspiel SV Werder gegen Eintracht Frankfurt soll Anfang Juni stattfinden. Die Bremer sind es auch, die am 18. Mai wegen ihres verspäteten Trainingseinstiegs erst mit einem Montagsspiel gegen Bayer Leverkusen beginnen. Dass kein Freitagsspiel vorgesehen ist, erklärte Seifert damit, dass die Politik einen Wiederbeginn erst in der zweiten Mai-Hälfe erlaubt habe. Es habe in der Mitgliederversammlung »keine kontroversen Diskussionen zu dem Starttermin« gegeben. An den ersten beiden Spieltagen will der Rechteinhaber Sky seine Samstagskonferenz über seine Free-TV-Plattform Sky Sport News übertragen.

Die Spiele ohne Fans im Stadion »werden sich anders anfühlen«, erläuterte Seifert, auch weil der Vorlauf für die Akteure enorm eng ist. Weil vor der Wiederaufnahme gemäß der neuen Maßgaben auch noch ein siebentägiges Quarantäne-Trainingslager abzuhalten ist, sind viele Teams gerade auf Hotelsuche, denn nicht alle Klubs können wie RB Leipzig einfach das eigene Trainingszentrum nutzen. Warum man nicht noch ein bisschen länger warte, beantwortete Seifert mit sportlichen, rechtlichen und organisatorischen Gründen. »Es laufen am 30. Juni über 100 Spielerverträge aus. In der 2. Liga sind es mehr als ein Drittel.« Diese Rechtsunsicherheit könnte angeblich das Saisonende gefährden.

Das DFL-Präsidium wisse, »dass wir Spielern und Trainern einiges zumuten«. Mehrere Fußballlehrer hatten sich für einen Vorlauf von mindestens zehn Tagen im Mannschaftstraining eingesetzt, Nationalmannschaftsarzt Tim Meyer sogar drei Wochen Vorbereitung ins Spiel gebracht. Bedenken ob einer erhöhten Verletzungsgefahr werden aber der reduzierten Ansteckungsgefahr untergeordnet. Die Entscheider scheinen die Phase der in Deutschland mittlerweile stark abgeschwächten Pandemie lieber heute als morgen nutzen zu wollen.

Da übernächste Woche der 26. Spieltag zur Austragung kommt, steht mit dem Revierderby Borussia Dortmund gegen FC Schalke 04 gleich der Lackmustest an, ob auch die Anhänger die Vorgaben befolgen. Seifert glaube nicht, dass es zu Ansammlungen in Pilsstuben oder Parzellen, in Wohnzimmern oder im Stadionumfeld kommen werde: »Nach all den Gesprächen, die ich mit Fanorganisationen geführt habe, wird das nicht so sein.« Der 50-Jährige setzt darauf, dass sich jeder seiner eigenen Verantwortung bewusst sei: »Da endet die Verantwortung der DFL.«

Auch sonst hatte der Verantwortungsbegriff Hochkonjunktur in der virtuellen Frage-Antwort-Runde aus der Frankfurter Ligazentrale. »Ich wünsche mir nicht, ich erwarte, dass jeder einzelne seiner Verantwortung gerecht wird«, betonte Seifert. Fußballer müssten einen Beruf ausüben, in dem sie »weder die Abstandsregeln halten noch Masken tragen können«. Doch habe man Voraussetzungen geschaffen, »dass wir nicht diejenigen sind, die die zweite Pandemiewelle auslösen.« Jetzt gelte, dass sich »junge Männer sehr diszipliniert verhalten«.

Die Vorbildrolle steht so stark wie nie unter Beobachtung. Der Profifußball besitzt schließlich nicht nur die Strukturen und das Geld, sich eine klinisch reine Sonderzone zu errichten, sondern verfügt auch über das Netzwerk in die Politik, um nun sogar eine weltweite Vorreiterrolle zu übernehmen. »Von Los Angeles über London bis Tokio wird darüber berichtet, dass wir wieder spielen. Wir merken, dass wir ganz schön dankbar sein können, weil wir alle in einem der modernsten Gesundheitssysteme der Welt leben«, erklärte Seifert. Wenn es gelinge, zwar stimmungsarm, aber doch störungsfrei die Saison zu Ende zu bringen, hätte die Bundesliga das Qualitätssiegel »Made in Germany« neu definiert.

Der Vorlauf mit rund 1700 Testungen an vermeintlich kerngesunden Leistungssportlern habe gezeigt, erläuterte der Ligaboss, »dass wir ohne Tests nicht zurückkehren können«. So könne der Fußball aber auch eine Blaupause für andere Branchen liefern, »die die Kontaktbeschränkungen nicht einhalten können«. Auch Orchester oder Theater könnten vom für die Fußballer konzipierten Papier lernen. Vorausgesetzt, die Hauptdarsteller produzieren keine Eigentore wie Anfang der Woche Salomon Kalou und seine Kollegen bei Hertha BSC, die in einem Kabinenvideo sichtbar die Hygieneregeln missachteten. Bilder, die auch Seifert »wirklich sehr wütend« gemacht haben, wie er am Mittwoch betont hatte. Eigens erwähnen wollte er die verstörenden Einblicke ins Innenleben eines Bundesligisten tags darauf lieber nicht mehr.

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