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Typisch männliche Bewältigungsstrategie
Männer in der Krise: Warum Attila Hildmann, Xavier Naidoo und Ken Jebsen Verschwörungstheorien verbreiten
Eines vorweg: Der Tag »X«, wie ihn Attila Hildmann, Xavier Naidoo und Ken Jebsen angekündigt hatten, ist am 15. Mai 2020 nicht eingetreten. Für viele Menschen dürfte diese Information wohl nicht allzu überraschend sein.
Bemerkenswert ist da eher, wie schnell sich mit Corona eine weitere Pandemie ausgebreitet hat und wer sich da neuerdings wie zusammentut: »Eine Stunde mit Xavier telefoniert (das erste Mal überhaupt!): größter Ehrenmann! Wir beide sind bereit für diese Sache Kopfschüsse zu kassieren! Es steht Zuviel auf dem Spiel! Danke Xavier dass es Menschen wie dich gibt!«, schrieb Hildmann kürzlich auf seinem Telegram-Kanal, dem inzwischen zigtausende Menschen folgen.
Dass Ken Jebsen mit abstrusen Theorien von sich reden macht, ist natürlich nichts Neues. Und auch der Mannheimer Sänger Xavier Naidoo, der in den vergangenen Jahren mit der Reichsbürger-Ideologie sympathisierte, war immer wieder für antisemitische, rassistische und homofeindliche Songtexte kritisiert worden. Vegan-Koch Attila Hildmann wiederum hatte sich in Anspielung auf den Terminator eine Zeit lang als »Veganator« bezeichnet und überrascht allein deshalb schon mit machohaften Posts wie diesem wenig.
Neu ist dennoch einiges: Etwa die Schärfe und Vehemenz, mit der Jebsen und Naidoo ihre Verschwörungstheorien verbreiten, die gesellschaftliche Resonanz, die sie dafür erhalten, und dass sich mit Charakteren wie etwa Hildmann (aber auch Detlef D. Soost und anderen) nun auch Typen diesem Männerbund anschließen, die zuvor weniger mit solchen Theorien zu tun hatten.
Männer glauben eher an Verschwörungstheorien
Was steckt hinter dieser neuen Entwicklung? Laut der Historikerin Hedwig Richter sind Verschwörungsideologien zwar ein altes Phänomen. Besonders anfällig dafür seien aber Menschen, die schlecht mit Unsicherheit und Ambivalenz umgehen können, erklärte die Historikerin Anfang Mai im Deutschlandfunk. »Es betrifft auch eher Männer als Frauen«, so Richter. »Ich denke, dass das sehr viel mit der Krise der Männlichkeit zu tun hat.« Für Männer sei es schwerer zu akzeptieren, dass sie gewisse Dinge nicht verstehen können, meint die Historikerin.
Dem stimmen auch Enrico Glaser und Judith Rahner von der Fachstelle Gender und Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung zu. Ihnen bereite vor allem die schnelle Radikalisierung Hildmanns innerhalb nur weniger Wochen Sorge, wie sie im Gespräch mit dem »nd« erklären.
»Das Machohafte spielte bei Hildmann seit jeher eine Rolle«, sagt Glaser. Aber ausgehend vom eher smarten Posterboy habe sich Hildmanns Performance jetzt verschärft: »Hin zu roher Gewalt und einer soldatischen Männlichkeit, die man aus dem rechtsextremen Spektrum kennt.«
In den sozialen Medien inszeniert sich Hildmann tatsächlich seit Wochen als martialischer Widerstandskämpfer. Mehrfach posierte er mit Waffen und gab bekannt, bereit zu sein, »in den Untergrund zu gehen, um dort eine Armee aufzubauen und zurückzuschlagen«. Nachdem er auf einer »Hygiene-Demo« vor dem Berliner Reichstagsgebäude verhaftet worden war, feierte ihn das rechte Magazin »Compact« als »modernen Helden«.
»Das wehrhafte Nach-Außen-Schlagen bei Verunsicherung ist eine typisch männliche Bewältigungsstrategie«, so Glaser. Als Einzelkämpfer lieber den Heldentod zu sterben, könne als charakteristisch für Männlichkeit gelten, wenn Gleich es auch andere Ausprägungen gebe, jenseits der toxischen Männlichkeit, wie Hildmann sie derzeit performt.
Gemeint ist damit ein in unserer Gesellschaft vorherrschendes Männlichkeitsbild, nach dem Männer keine Schwäche zeigen sollen, höchstens Wut; keine Angst haben, sondern hart sein sollen, aggressiv und nicht liebevoll oder gar zärtlich.
Ein Kämpfer, ein intellektueller Journalist und ein emotionaler Sänger
Wie unterschiedlich jedoch die Männlichkeitsperformances der Verschwörungstheoretiker sind, beobachtet auch Glasers Kollegin Judith Rahner. Neben dem als bewaffneten Widerstandskämpfer inszenierten Hildmann sei da Jebsen, der sich als intellektueller Journalist verkaufe, und der emotionale Xavier Naidoo, der auch mal in die Kamera weine.
Letzterer hatte kürzlich in einem gefühlsbetonten Video erklärt, es seien bereits die »letzten Atemzüge, die die BRD da tut«, bevor er über eine angebliche Impfpflicht, Bill Gates und die WHO sprach. Jebsen argumentiere ähnlich, meint Glaser. »Er ist dabei aber wesentlich eloquenter.«
So unterschiedlich Hildmann, Naidoo und Jebsen auch agieren - was sie vereint, sei ihre Egoschiene und ihre Feindbilder, meint Rahner: »Alle drei haben sich in den vergangenen Wochen zu wenig beachtet gefühlt. Daraus folgt jetzt eine Selbstinszenierung, die bis hin zur Selbstheroisierung geht.«
Bei der Amadeu Antonio Stiftung beschäftigte man sich bereits vor Corona mit dem Phänomen. »Verschwörungsideologien kommen besonders häufig in Krisenzeiten auf«, so Rahner. Sie seien eine ganz klare Kompensationsstrategie, »um ein Gefühl der Kontrolle zurückzuerlangen«. Das betreffe private Krisen, etwa Scheidungen, ebenso wie jetzt den Kontrollverlust durch die Coronakrise.
»Hildmann, Naidoo und Jebsen haben sich wohl einem übermächtigen Feind gegenüber gesehen«, erklärt Rahner. Mit ihren Verschwörungstheorien würden sie sich nun nicht mehr ganz so ohnmächtig fühlen, schätzt die Expertin.
Kritisch sei dabei laut Rahner vor allem, dass sich die drei so gut ergänzen und gegenseitig befeuern. »Sie können so mehr Leute ansprechen und um sich versammeln.« Hildmann habe ganz andere Follower als die einschlägig bekannten rechtsradikalen Kanäle. »Das ist ein sehr viel heterogeneres Publikum, darunter viele Unbedarfte, die vielleicht den geilen veganen Koch kennen«, so Rahner. Das sei allemal gefährlich.
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