Es genügt nicht, Gegner der USA zu sein

Wie steht die Linkspartei zu China? Eine Erwiderung auf Hans Modrow

  • Wulf Gallert
  • Lesedauer: 6 Min.

Man muss Hans Modrow ausdrücklich dankbar dafür sein, dass er eine intensivere Beschäftigung der Linkspartei mit der Volksrepublik China einfordert. Ich beobachte die ökonomische, soziale und außenpolitische Entwicklung Chinas ebenfalls seit längerer Zeit, untersetzt durch eine Reihe von Besuchen und vielfältigen Kontakten zu Vertretern der Kommunistischen Partei.

Bei China handelt es sich zweifellos inzwischen um eine Weltmacht, möglicherweise sogar um die in absehbarer Zeit letztverbliebene. Die hohen ökonomischen Wachstumsraten in dem ehemaligen Entwicklungsland mit etwa 1,3 Milliarden Einwohnern haben China in das Zentrum der Weltpolitik gerückt. Die chinesischen Märkte und Investoren haben heute faktisch in jedem Teil der Welt eine massive Bedeutung erlangt und auch politisch schickt sich China an, der mächtigste globale Player zu werden.

Der Autor
Wulf Gallert, Jahrgang 1963, ist langjähriger Politiker der PDS bzw. Linkspartei in Sachsen-Anhalt. Er war viele Jahre Fraktionsvorsitzender im Magdeburger Landtag und bestimmte maßgeblich die Arbeit des Magdeburger Modell mit, bei dem die PDS erst eine rot-grüne, dann eine SPD-Minderheitsregierung tolerierte. Seit 2016 ist er Vizepräsident des Landtags. Als Mitglied der internationalen Kommission der Linken beschäftigt er sich auch mit der Entwicklung der Volksrepublik China. 
Mit diesem Beitrag antwortet Gallert auf den Artikel »Das Gerede von der chinesischen Seuche« von Hans Modrow (»nd« vom 12. 5. 2020, S. 15).
Die von Wulf Gallert empfohlene Studie zur Entwicklung des globalen Autoritarismus ist hier zu finden.

Vor diesem Hintergrund verschärfen sich die geopolitischen Interessenkonflikte vor allem zwischen den USA und China – und das, obwohl beide Volkswirtschaften eng miteinander verbunden sind. Beide Seiten ringen ökonomisch, politisch und kulturell dabei um die EU (insbesondere um Deutschland), um sie als Verbündete in dieser Auseinandersetzung zu gewinnen. Das ist der Hintergrund für den von Hans Modrow am Beispiel des Herrn Kauder beschriebenen antichinesischen Rassismus, der sich in der Corona-Pandemie mit antikommunistischen Ressentiments zu einem gefährlichen Brei vermengt.

Natürlich ist es die Pflicht einer linken Partei, dieser imperialen Perspektive eindeutig zu widersprechen, die allerdings ihre Quellen nicht nur in den USA, sondern auch in der kolonialen Vergangenheit Europas hat. Und natürlich ist es auch für eine linke Partei zwingend geboten, darauf hinzuweisen, dass die ökonomische Entwicklung der Volksrepublik China zu einer deutlichen Verbesserung der Lebenssituation nicht nur des oberen Drittels der Gesellschaft geführt hat, deren Kaufkraft westeuropäischen Maßstäben entspricht, sondern auch existenzielle Armut und Hunger fast vollständig beseitig hat.

Wer daran zweifelt, möge sich bitte nur die Situation in dem inzwischen bevölkerungsreichsten Land Indien ansehen, einem Land, dem vor gut 30 Jahren noch bessere ökonomische Entwicklungschancen vorausgesagt wurden, in dem aber heute ein sehr großer Teil der Bevölkerung nicht nur in bitterer Armut, sondern im Elend lebt. Allerdings kann und darf eine linke Perspektive dabei nicht stehen bleiben, denn nach unseren Wertemaßstäben stellt sich die Situation in der Volksrepublik China und ihren globalen Aktivitäten weitaus differenzierter dar.
Auch nach meiner Auffassung waren die Berichte über die drastischen Maßnahmen der chinesischen Regierung zur Eindämmung des Coronavirus von tief sitzenden antichinesischen und antikommunistischen Ressentiments verzerrt, und auch ich habe mich gefragt, was die gleichen Kommentatoren aus Politik und Medien gedacht haben, als Frankreichs Präsident Emmanuel Macron den Kriegszustand ausgerufen hat und in Deutschland massiv Grundrechte eingeschränkt wurden.

All das ist für mich aber kein Grund, jede Kritik an der politischen Situation in China zu vergessen. Die politische Führung Chinas realisierte in den letzten Jahren eine immer strenger werdende Grenzziehung bezüglich der kritischen Auseinandersetzung mit dem politischen System. Die findet zweifellos statt, und zwar innerhalb der Kommunistischen Partei, allerdings nicht auf offener Bühne und schon gar nicht durch eine entsprechende Mehrheitsbildung in der Bevölkerung. Währenddessen die Linkspartei in Deutschland natürlich für liberale Grundrechte eintritt, gegen Medienmonopole kämpft, für den Datenschutz, für politische Rechte der Opposition und die Trennung von Justiz und Exekutive, ist für all dies im politischen System Chinas kein Platz.

Gerade aber solche Fragen standen bei der Überwindung des staatssozialistischen Erbes in der Gründungsphase der PDS im Mittelpunkt und wurden danach häufig auch als Gründungskonsens bezeichnet. Für uns stellt sich die Frage, ob wir diese Kriterien bei der Beurteilung der Politik der Kommunistischen Partei Chinas vollständig außer Acht lassen. Spricht man übrigens mit Vertretern der KP Chinas darüber, gehen sie davon aus, dass jedes politische System seine eigenen Regularien entwickeln muss und die Betonung individueller Rechte gegenüber der Gemeinschaft einfach nicht der chinesischen Tradition entspricht. Die Freiheit des Einzelnen als Voraussetzung für die Freiheit aller ist aus deren Perspektive keine linke Zielstellung, sondern eine europäische Spielart des Marxismus. Dieser Perspektive will und kann ich mich allerdings nicht anschließen.

Wer in den letzten 15 Jahren die sozialökonomische Entwicklung Chinas beobachtet hat, wurde Zeuge eines fundamentalen Paradigmenwechsels. Während bis dahin die Reformpolitik von Deng Xiaoping mit der Zielstellung der ökonomischen Öffnung und dem einprägsamen Motto »Einige müssen zuerst reich werden« im Zentrum gestanden hat, steht seit einigen Jahren nicht nur in den politischen Äußerungen, sondern auch in der Realität die Verbesserung der Lebenssituation der gesamten Bevölkerung im Mittelpunkt.

Allerdings ist die Reichtumsverteilung innerhalb der Volksrepublik China, die Wirksamkeit von Arbeitnehmerrechten bis hin zur Situation der unterprivilegierten Wanderarbeiter nach unseren Maßstäben stark neoliberal ausgeprägt. Auch heute noch bestehen große Teile der chinesischen Wirtschaft aus Massenproduktion in Fabriken ausländischer Investoren. Es hat einen Grund, warum die Apple-Geräte nach wie vor überwiegend am Perlflussdelta und nicht in Kalifornien gebaut werden.

Übrigens fanden die Arbeiteraufstände vor einigen Jahren in diesen Werken bei weitem nicht dort statt, wo es in China die schlechtesten Arbeitsbedingungen gibt. Allerdings darf in diesem Kontext nicht vergessen werden, dass die von mir so bezeichnete sozialdemokratische Wende der letzten Jahre die massive Erhöhung von Löhnen und den Aufbau von sozialen Sicherungssystemen bewirkt hat. Dies hat maßgeblich dazu beigetragen, China als Binnenmarkt zu entwickeln und die sozialökonomischen Spannungen im Land zu reduzieren.

Ein weiteres genau zu analysierendes Feld ist die Formulierung des globalen Anspruchs Chinas. Die ökonomische Strategie dazu, die neue Seidenstraßeninitiative, hat das Ziel, globale Wertschöpfungsketten so zu organisieren, dass sie dem Wachstum der chinesischen Volkswirtschaft dienen. Ich bin in den letzten Jahren häufig gefragt worden, ob es sich hierbei um eine imperiale Strategie handelt. Man kann diese Frage bejahen, allerdings mit dem Zusatz: Dann ist sie die beste, die es je in der Geschichte der Menschheit gab. Denn die Grundidee dieser Strategie geht davon aus, dass die Entwicklung von Infrastruktur weltweit die Voraussetzung für die Umsetzung chinesischer Wirtschaftsinteressen ist.

Zweifellos unterscheidet sich diese Strategie maßgeblich von der Kanonenboot-Politik Europas und der USA in Vergangenheit und Gegenwart. Allerdings stellt sich die Frage, ob der Besitz und die Kontrolle Chinas über Infrastruktur in Zentralasien, Europa, Afrika oder Lateinamerika mit linken Vorstellungen in Übereinklang zu bringen ist. Ich habe da erhebliche Zweifel. Zu den sozialen und politischen Folgen dieser chinesischen Expansionspolitik empfehle ich ausdrücklich die Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung von Wolfram Schaffar zur Entwicklung des globalen Autoritarismus aus dem Jahr 2019.

Nach jedem meiner Besuche in der Volksrepublik China in den letzten Jahren war ich tief beeindruckt von der dortigen Entwicklung, und mir wurde jedes Mal die Absurdität des Mainstreams der politischen Berichterstattung über China in Deutschland vor Augen geführt. Das darf allerdings nicht dazu führen, einen unkritischen Blick zu entwickeln, weil Konservative und Neoliberale gerade das Feindbild China aufbauen.

Es bleibt unsere Aufgabe als Linke, vor dem hoffentlich stattfindenden China-EU-Gipfel im Herbst in Leipzig eine Position zu entwickeln, die diesen Anforderungen Rechnung trägt.

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