»Wo's kracht, da gibt's halt lokal einen zweiten Lockdown«

Linken-Fraktionschef Bartsch verteidigt Ramelows Corona-Kurs / Koalitionspartner in Thüringen äußern Kritik am Vorstoß

  • Lesedauer: 5 Min.

Berlin. Linken-Bundestagsfraktionschef Dietmar Bartsch hat die Lockerung der allgemeinen Corona-Beschränkungen in Thüringen verteidigt. Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) wolle weder Abstandsregeln noch Maskenpflicht abschaffen, sondern er wolle bei den Auflagen regionalisieren, sagte Bartsch am Montag im Deutschlandfunk. Er gehe davon aus, dass Ramelow und seine Regierung dabei »äußerst aufmerksam bleiben«. Bartsch betonte zugleich, es dürfe »keinen Lockerungswettlauf« unter den Bundesländern geben.

Der thüringische Ministerpräsident hatte am Wochenende ein Ende der generellen Corona-Beschränkungen in Thüringen ab Anfang Juni in Aussicht gestellt. Der Leiter der bayerischen Staatskanzlei, Florian Herrmann (CSU), hatte daraufhin der »Bild«-Zeitung gesagt, das Nachbarland werde »zu einem Gefahrenherd für wieder steigende Infektionszahlen in ganz Deutschland«. Die Thüringer Pläne seien »ein hochgefährliches Experiment für alle Menschen in diesem Land«.

Herrmann verwies darauf, dass der Landkreis Sonneberg, einer der beiden Corona-Hotspots in Thüringen, direkt an Bayern angrenze. »Wir müssen uns nun überlegen, wie wir als Nachbar damit umgehen«, sagte der CSU-Politiker.

Bartsch wies die Warnungen aus Bayern zurück. Er verstehe nicht, dass diejenigen, die das höchste Infektionsgeschehen und die meisten Infizierten hätten, »Ramelow vorwerfen, dass er sozusagen gefährdet«. Es gebe eine »erhebliche Differenz« zwischen den Zahlen in Bayern und Thüringen. Die Äußerungen Herrmanns seien »einigermaßen ungehörig«. Mit Blick auf die Landkreise mit den sehr hohen Infektionszahlen verwies Bartsch auf die Aussage Ramelows, dass dort »mit größter Konsequenz« gehandelt werden müsse.

»Gang aufs Minenfeld«

Alllerdings wurde auch in Ramelows eigenen Reihen Kritik laut. Katharina König-Preuss, Linke-Abgeordnete im Landtag, schrieb auf Twitter, sie halte es für falsch, etwa Abstandsregeln und das Tragen von Mund-Nasen-Schutz aufheben zu wollen. Die Grünen als zweiter Koalitionspartner neben der SPD zeigten sich überrascht. Die Aufhebung aller Beschränkungen und die Weitergabe der Verantwortung an die Kommunen und Bürger »kommen aus unserer Sicht nicht nur zu früh, sondern erzeugen eine falsche Sicherheit«, betonte Landeschef Bernhard Stengele. Seine Partei sei für eine schrittweise, behutsame Lockerung, um erreichte Erfolge nicht zu gefährden.

Auch Thüringens Umweltministerin Anja Siegesmund (Grüne) distanzierte sich von dem Vorhaben Ramelows. »Der Lockdown verlangt uns allen viel ab«, sagte Siegesmund den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland. »Wir müssen aber aufpassen, dass wir angesichts des erfolgreichen Pandemiemanagements nicht leichtsinnig werden und überdrehen.«

Es müsse das Motto »Nichtrisikogruppen zuerst« gelten, sagte Siegesmund weiter. Kindergärten könnten »nicht nur ein bisschen« geöffnet werden, betonte die Grünen-Politikerin. Ähnliches gelte für Schulen. Zudem solle sich Thüringen »mit den Ländern, deren Zahlen ebenso eine deutliche Sprache für die Öffnung sprechen, abstimmen - das ist der Weg«, sagte sie.

Jenas Oberbürgermeister Thomas Nitzsche (FDP) verglich das Vorhaben des Ministerpräsidenten mit einem »Gang aufs Minenfeld«. »Wo's kracht, da gibt's halt lokal einen zweiten Lockdown. Soll das wirklich unsere Strategie sein in Thüringen?«, schrieb er auf Facebook.

SPD-Experte fordert Signal der Bundesregierung

Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach forderte die Bundesregierung auf, ein Signal gegen die angekündigten Lockerungen der allgemeinen Corona-Auflagen in Thüringen zu setzen. Mit dieser Entscheidung drohe ein bundesweiter Wettlauf der Länder bei Lockerung der Restriktionen, »der aus medizinischer Sicht katastrophal wäre«, warnte Lauterbach in der Düsseldorfer »Rheinischen Post«. Das Corona-Kabinett solle an diesem Montag »unbedingt ein Gegensignal setzen, um das zu verhindern«.

Der SPD-Politiker appellierte an Ministerpräsident Ramelow, seine Entscheidung zurücknehmen. Ramelow hinterlasse damit den Eindruck, als knicke er vor »Aluhüten« - eine andere Bezeichnung für Verschwörungstheoretiker - und »rechtsradikalen Schreihälsen« ein, sagte Lauterbach unter Bezug auf die Demonstrationen gegen die Corona-Restriktionen. Ramelow setze wichtige Erfolge im Kampf gegen die Pandemie, um die Deutschland international beneidet werde, »fahrlässig aufs Spiel«, kritisierte der SPD-Bundestagsabgeordnete.

Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) kritisierte die Ankündigung Ramelows. »Unser aller Job in der Politik ist jetzt nicht alleine, Sehnsüchte zu stillen - auch wenn diese nachvollziehbar sind -, sondern weiter nüchtern, verantwortungsvoll und wissenschaftsgeleitet abzuwägen und der Gesellschaft zu helfen, diese Pandemie zu durchstehen«, sagte Hans der »Welt«. Es seien weiter staatlich vorgegebene Regeln geboten, betonte er.

Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) erinnerte in der »Hannoverschen Allgemeinen Zeitung« an den Corona-Ausbruch nach der Feier in einem Gasthof vor kurzem in Leer und erklärte: »Das Coronavirus ist keineswegs aus der Welt.« Niedersachsen werde Lockerungen nur Schritt für Schritt ausweiten »ohne den Bogen zu überspannen«.

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Ablehnend äußerte sich auch Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU). »Ich halte eine komplette schnelle Lockerung für verfrüht«, sagte er der »Bild am Sonntag«. Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) warnte davor, die erzielten Erfolge im Kampf gegen die Seuche fahrlässig aufs Spiel zu setzen.

Göring-Eckardt: Regeln müssen auf Wirksamkeit überprüft werden

Mit Blick auf jüngste Infektionsfälle nach Gottesdienst- und Restaurantbesuchen rief die Chefin der Grünen-Bundestagsfraktion, Katrin Göring-Eckardt, die Länder auf, ihre Regeln zum Schutz vor dem Coronavirus immer wieder auf die Wirksamkeit hin zu überprüfen. »Viele von ihnen haben die Lockerungen vorangetrieben«, sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe. »Sie müssen jetzt aufpassen, dass uns die Situation nicht entgleitet.«

Ramelow selbst begründete sein Ansinnen mit der aktuellen Infektionslage. »Wir haben im März auf der Grundlage von Schätzungen von 60 000 Infizierten entschieden - jetzt haben wir aktuell 245 Infizierte«, sagte er der »Bild am Sonntag«. »Der Erfolg gibt uns mit den harten Maßnahmen recht - zwingt uns nun aber auch zu realistischen Konsequenzen und zum Handeln. Und das heißt: Für Thüringen empfehle ich die Aufhebung der Maßnahmen.« Agenturen/nd

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