Männer und Raucher besonders gefährdet

Ein wichtiges körpereigenes Enzym dient Sars-CoV-2 als Andockstation zum Eindringen in menschliche Zellen

  • Elke Bunge
  • Lesedauer: 3 Min.
Im Dezember 2019 erkrankte eine große Zahl von Einwohnern der chinesischen Millionenstadt Wuhan an einer aggressiven Lungenkrankheit. In kurzer Zeit entwickelte sich die Infektion mit dem Virus Sars-CoV-2 zur Pandemie. Bemerkenswert am Verlauf der Erkrankung war, dass deutlich mehr Männer als Frauen an dem respiratorischen Syndrom erkrankten und ebenso deutlich mehr Männer daran verstarben. Ferner zeigte sich, dass unter den Verstorbenen ein hoher Prozentsatz von Patienten mit Vorerkrankungen am Herz-Kreislauf-System war.
Der Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen den kardialen Erkrankungen und der Coronainfektion gibt, widmete sich eine internationale Forschergruppe unter Leitung des Kardiologischen Zentrums der Universität Groningen (Niederlanden). In ihrer jetzt im »European Heart Journal« veröffentlichten Studie erklärten die Wissenschaftler um Adriaan Voors, dass die signifikant höhere Konzentration des körpereigenen Enzyms ACE2 bei Männern für ihre Anfälligkeit und auch den letalen Ausgang der Coronainfektion verantwortlich ist. ACE2 steht für Angiotensin-konvertierendes Enzym 2, es spielt eine wichtige Rolle bei der Regulierung des Blutdrucks.
Um zu verstehen, über welche Wege der Mensch sich mit dem aktuellen Coronavirus infiziert, muss man den Prozess der Infektion selbst betrachten. Die meisten Coronaviren sind Ribonukleinsäurestränge (RNA), die von einem Protein als Schutzhülle umgeben sind. Auf dieser Außenhülle des Virus befinden sich sogenannte Anheftungsproteine namens »Spike«. In dieser Weise ist auch Sars-CoV-2 aufgebaut.
Um den Menschen infizieren zu können, braucht das Virus eine Andockstation, die ACE2 bietet. Hat sich das Virus an dem Protein einmal festgesetzt, braucht es einen Weg, um in das Innere der menschlichen Wirtszelle zu gelangen. Hierzu wird die bereits vorhandene transmembrane Serinprotease, ebenfalls ein Enzym, aktiviert. Die menschliche Zellhülle wird sozusagen aufgebrochen, die Virus-RNA kann in das Innere eindringen und sich dort vermehren. Über den umgekehrten Weg gelangen dann die vermehrten Viren in andere menschliche Zellen und lösen letztendlich Covid-19 aus.
Die jetzt veröffentlichte Studie zeigte, dass Männer einen signifikant höheren ACE-Spiegel im Plasma aufweisen als Frauen. Die Kardiologen, unter anderem aus den Herzzentren in Groningen, Brescia (Italien), London und Leicester (Großbritannien) und Berlin untersuchten zwei Patientengruppen aus elf europäischen Staaten. In der ersten Gruppe waren 1485 Männer und 537 Frauen mit Kreislaufproblemen vertreten; ihr Durchschnittsalter lag bei 69 Jahren (Männer) sowie 75 Jahren (Frauen). In der Vergleichsgruppe wurden Herz-Kreislauf-Patienten gleichen Alters – hier 1123 Männer und 575 Frauen untersucht, die Medikamente wie Beta-Blocker und blutdrucksenkende ACE-Hemmer einnahmen.
Bei beiden Gruppen stellte das Team fest, dass in den Laborproben der Männern ungeachtet der Medikamenteneinnahme ein höherer ACE2-Gehalt nachweisbar war. So hatten zum Beispiel 86,3 Prozent der untersuchten Männer einen ACE2-Gehalt zwischen 5,78 und 8,72 Einheiten/Liter Plasma, während nur 16,4 Prozent der Frauen einen solchen Wert aufwiesen.
Konzentriert fand man das die Coronainfektion unterstützende Enzym bei Männern in Herz, Lunge, Nieren und Hoden. Das hier gehäufte Vorkommen von ACE2 – so erklären es sich die Wissenschaftler – trägt zur verstärkten Infektionsgefahr bei den kardial Vorerkrankten bei. Folgerichtig sind auch die letalen Ausgänge der Covid-Erkrankungen bei Männern deutlich höher. Für die Annahme, dass blutdrucksenkende Medikamente wie ACE-Hemmer die Infektiosität erhöhten, fanden die beteiligten Kardiologen indes keine Hinweise. Allerdings zeigen weitere Publikationen, dass vor allem Raucher eine höhere ACE2-Konzentration vor allem in der Lunge aufwiesen und damit zur Covid-19-Risikopatientengruppe gezählt werden müssen.
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