Löcher im Käse nach Norm

Für die Bestrahlung von Lebensmitteln gibt es verschiedene Gründe. Manche sind fragwürdig

  • Anke Noll
  • Lesedauer: 5 Min.
Wie viele Löcher sind im Käse wo, und wie groß sind diese? Wer das wissen will, muss den Laib anschneiden – oder eben röntgen.
Wie viele Löcher sind im Käse wo, und wie groß sind diese? Wer das wissen will, muss den Laib anschneiden – oder eben röntgen.

Rund 100 000 Tonnen getrockneter Gewürze werden jedes Jahr global mit ionisierenden Strahlen behandelt, um sie länger haltbar zu machen. Aber auch für die Kontrolle auf Fremdkörper in Lebensmitteln oder zum Messen der Löchergröße im Käse werden Röntgenstrahlen eingesetzt.

Zur Strahlenbelastung, die sich im Laufe des Lebens summieren kann, tragen bildgebende Verfahren aus der Medizin bei, darunter die Computertomographie oder das Röntgen. Bei Flugreisen sind Passagiere, aber besonders Piloten und Kabinenpersonal, der natürlichen kosmischen Strahlung ausgesetzt. Als Faustregel lässt sich eine Röntgenaufnahme beim Zahnarzt mit der Strahlungsmenge einer Flugstunde vergleichen. Von Vielfliegern einmal abgesehen, ist die Art der Exposition relativ selten. Aber wie stark ist die Strahlung, mit der Nahrungs- oder Würzmittel behandelt werden? Kann man das überhaupt vergleichen?

Nach dem Zweck der Bestrahlung ist zu unterscheiden zwischen jener zur Haltbarmachung und einer vergleichsweise geringer dosierten Röntgenstrahlung zu Mess- und Kontrollzwecken. In der Lebensmittelbestrahlungsverordnung ist geregelt, dass in Deutschland bis auf wenige Ausnahmen nur getrocknete Gewürze und Kräuter mit ionisierenden Strahlen behandelt und verkauft werden dürfen. Durch diese Behandlung werden mikrobielle Krankheitserreger reduziert, sie soll aber keine Ersatzmaßnahme bei Hygienemängeln sein.

Dafür zugelassen sind Gamma-Strahlen von Kobalt-60- oder Caesium-137-Isotopen, die ionisierend wirken. Das heißt, es werden Elektronen aus der Hülle der Atome und Moleküle herausgestoßen. Kurz: Aus Atomen werden Ionen, Moleküle werden chemisch angeregt. Die Lebensmittel werden dabei nicht radioaktiv. Die Vitamine A, C und E können aber dabei zerstört werden. Bei Gewürzen, die nur in geringer Menge verwendet werden, sehen viele Experten kein Risiko für die Gesundheit. Anders ist das eventuell bei Lebensmitteln, die in größeren Mengen verzehrt werden.

»Als Folge solcher Anregungen können auch freie Radikale gebildet werden«, heißt es in einer Stellungnahme der Bundesforschungsanstalt für Ernährung. Interpretieren lässt sich das so: Vitamine gehen nicht einfach verloren, sondern können selbst zu freien Radikalen werden, die Entzündungen befeuern. Wenn das bei Gemüse passiert, ist zu fragen: Nährt uns dieses Lebensmittel noch?

In anderen europäischen Ländern wie Tschechien, Italien, Belgien und Polen ist auch die Bestrahlung von Zwiebeln, Kartoffeln und Knoblauch erlaubt. Sie soll verhindern, dass diese vorzeitig keimen. Die WHO sieht dieses Konservierungsverfahren als unbedenklich gemessen am Risiko von Lebensmittelvergiftungen.

Die Bestrahlung, die zur Konservierung und damit für die längere Haltbarkeit und auch Verkäuflichkeit von Lebensmitteln eingesetzt wird, muss in der Europäischen Union mit den Worten »bestrahlt« oder »mit ionisierenden Strahlen behandelt« gekennzeichnet werden. Das gilt auch, wenn nur ein einzelnes Gewürz in einer Fertigsuppe oder Fertigpizza bestrahlt wurde.

Behörden wie das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit kontrollieren in Stichproben, ob die Kennzeichnungspflicht eingehalten wird oder die Bestrahlung zulässig war. Unter anderem eine strahleninduzierte Veränderung von Fetten oder Aminosäuren ist messbar. In einer Untersuchung von 2022 wurden 17 von 2300 untersuchten Proben beanstandet, davon waren sieben Proben unzulässig bestrahlt. Fünf Proben aus den Bereichen Kräuter, Gewürze, Soßen sowie Instantnudeln waren nicht korrekt gekennzeichnet.

Zudem sind auch Nahrungsergänzungsmittel aus getrockneten Pflanzenteilen recht häufige Kandidaten für eine unerlaubte Bestrahlung. Ein Beispiel sind Kapseln mit Gelbwurz beziehungsweise Kurkuma, die bei Kniegelenkbeschwerden helfen sollen. Aber auch mit dem täglichen Teelöffel Kurkuma, das als Gewürz durchaus bestrahlt werden darf, möchte sich eigentlich niemand freie Radikale zusätzlich einverleiben.

Die Strahlungsdosis, die zur Konservierung von Gewürzen erlaubt ist, liegt rund 20-mal höher als jene für Kontrollzwecke. »Tatsächlich ist die Bestrahlung von Lebensmitteln mit Röntgentechnik zu Kontroll- und Messzwecken erlaubt, eine Kennzeichnung ist dafür nicht vorgeschrieben«, heißt es auf der Webseite »Lebensmittelklarheit« der Verbraucherzentrale Hessen.

Maschinenhersteller begründen genau, warum das Röntgen von Käse »eine gute Idee« sein soll. Unterschiedlich große Löcher im Käse bedingen ein unterschiedliches Gewicht einzelner Käsescheiben. Wenn dennoch eine definierte Anzahl von Käsescheiben bei einem Normgewicht der Verkaufspackung erreicht werden muss, soll das Röntgen des Käseblocks unumgänglich sein. Sobald Größe und Verteilung der Löcher im Käseblock visuell dargestellt sind, berechnet eine Maschine, wie dünn oder dick die Käsescheiben zu schneiden sind.

Auch die Füllstandshöhe von Konserven, Fremdkörper und Knochensplitter in frischem Fleisch und die Sortierung in einem Pralinenkasten können mittels Röntgentechnik kontrolliert werden.

Anders als bei der Bestrahlung von Gewürzen tut sich bei jener von Fleisch, Käse oder Konservendosen auch bei geringerer Strahlungsdosis aufgrund der größeren Verzehrmengen eine Wissenslücke zum damit verbundenen Risiko auf. Hersteller der Röntgenanlagen versprechen Lebensmittelunternehmen weniger Rückrufe wegen Fremdkörpern in den Verkaufspackungen.

Befürworter der Lebensmittelbestrahlung argumentieren wie jene der Gentechnik: Nur so ließen sich genug Nahrungsmittel produzieren, um acht Milliarden Menschen satt zu machen. Beide Verfahren sind in der ökologischen Lebensmittelwirtschaft tabu. Wer sich deren Produkte nicht leisten kann, ist Technologien zum Zwecke der Profitmaximierung ausgeliefert.

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