Ausbildungsplätze werden Mangelware

Laut Umfrage der Industrie- und Handelskammer bilden viele Betriebe wegen Corona weniger aus als geplant

  • Georg Sturm
  • Lesedauer: 3 Min.

»Die Situation der Berliner Wirtschaft ist dramatisch«, erklärte Beatrice Kramm, Präsidentin der Industrie- und Handelskammer (IHK), am Mittwoch bei der Vorstellung einer Umfrage unter Berliner Betrieben zur Ausbildungslage. Insgesamt 4400 Betriebe wurden von der IHK befragt, über 900 davon nahmen an der Umfrage teil. Die Auswirkungen der Coronakrise auf die Ausbildungsmöglichkeiten hängen, so Kramm, demnach stark von der jeweiligen Branche ab.

So gaben 97 Prozent der befragten Industriebetriebe an, am geplanten Ausbildungsangebot festhalten zu wollen, bei Banken und Versicherungen sind es 94 Prozent, im Bereich Baugewerbe und Immobilien 92 Prozent, im Einzelhandel 86 Prozent, bei Unternehmen aus dem Bereich Freizeit, Tourismus und Gastgewerbe dagegen nur 42 Prozent. Auch in der Kreativwirtschaft sind die Auswirkungen deutlich zu spüren: Etwa ein Drittel der geplanten Ausbildungsstellen sollen hier wegfallen.

Es sei bemerkenswert, wie viele Unternehmen trotz der Krise weiterhin Ausbildungen durchführen wollten, sagte Kramm. Eine große Herausforderung für Betriebe bestehe darin, künftige Lehrlinge zu erreichen, da Ausbildungsbörsen abgesagt worden seien und Berufsberatung sowie Vermittlung aktuell ohne persönlichen Austausch erfolgen müssten. Trotz der voraussichtlich geringeren Zahl an verfügbaren Ausbildungsplätzen sei damit zu rechnen, dass einige der Lehrstellen wie in jedem Jahr unbesetzt bleiben.

Die Berufsschulen, die im Zuge der Pandemie schließen mussten, werden seit dem 4. Mai schrittweise wieder geöffnet. So hatten die Abschlussjahrgänge der Berufsschulen der Kammern aller dualen Ausbildungen sowie die Abschlussjahrgänge der Berufsfachschulen, Fachoberschulen, Berufsoberschulen und Fachschulen seit dem letzten Monat wieder Präsenzunterricht.

Die digitale Vermittlung von Lerninhalten habe »unterschiedlich gut funktioniert«, stellte Beatrice Kramm fest. 65 Prozent der befragten Betriebe bemängelten fehlenden Zugriff auf digitale Lernangebote und über 40 Prozent wünschten sich eine bessere Abstimmung mit den Berufsschulen. Daher sei bei vielen Unternehmen der Wunsch groß, bestehende Nachhilfe- und Mentoring-Programme auszubauen, damit sich die Auszubildenden schnell auf die Prüfungen vorbereiten können. Die für April und Mai geplanten IHK-Abschlussprüfungen wurden verschoben und sollen Ende Juni nachgeholt werden.

Als Reaktion auf die Coronakrise und die Auswirkungen auf Unternehmen und Ausbildungsmarkt fordert die IHK einen schnelleren Anspruch auf Kurzarbeitergeld für Auszubildende, eine befristete finanzielle Unterstützung zur Fortzahlung der Ausbildungsvergütung sowie Auffangmöglichkeiten für Azubis in anderen Betrieben. Um Vertragsschließungen auch nach Ausbildungsstart zu fördern, brauche es wirksame Nachvermittlungsaktionen und die Möglichkeit für einen späteren Start in das Berufsschuljahr.

Bernd Becking, Leiter der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg, der gerade die Arbeitslosenzahlen für den Monat Mai vorgestellt hatte, erklärte, dass die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplätze in Berlin zwar geringer sei als 2019. »Dennoch sind im Mai in den Standorten der Jugendberufsagentur rund 7400 unbesetzte Ausbildungsstellen gemeldet«, sagte Becking. »An die Jugendlichen appelliere ich, sich jetzt nicht entmutigen zu lassen. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, sich zu kümmern.«

Arbeitssenatorin Elke Breitenbach (Linke) kündigte am Mittwoch verschiedene Maßnahmen an, »um die Auswirkungen der Krise auf die jungen Berlinerinnen und Berliner und die mit ihr einhergehende Reduzierung von Ausbildungsplätzen so gering wie möglich zu halten«.

Dazu zähle eine Erhöhung der außerbetrieblichen Ausbildungsplätze innerhalb des Berliner Ausbildungsplatzprogramms sowie ein Auffangschirm für Jugendliche, deren Ausbildungsbetrieb aufgrund der Coronakrise schließen muss. »Gerade junge Menschen nach der Schule und in Ausbildung sowie Geflüchtete auf ihrem Weg in die Arbeitswelt brauchen vor allem jetzt unsere Unterstützung bei einer erfolgreichen Arbeitsmarktintegration«, erklärte Breitenbach.

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