Ein hoffnungsloser Fall

Aktivisten fordern weniger statt eine besser trainierte Polizei.

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Unabhängige Beschwerdestellen und Dialogveranstaltungen, Schulungen für Polizisten zu »unbewussten Vorurteilen« und Body-Kameras für Beamte: Das sind einige der Reformvorschläge, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten in den USA gemacht und teilweise ausprobiert wurden und die auch jetzt angesichts der Black-Lives-Matter-Proteste nach dem Tod von George Floyd wieder vorgebracht werden von wohlmeinenden Linksliberalen und Demokraten. Die Maßnahmen, so glauben sie, müssten nur entweder überhaupt oder nachdrücklicher umgesetzt werden - je nach Ort und Gemeinde. Linke Kritiker entgegnen, dass eine ganz andere Reaktion angesagt wäre.

Minneapolis ist eigentlich eine linksliberale Vorzeige-Enklave. Die Stadt hat eine Geschichte von Community-Aktivismus, wird von der linken Demokratin Ilhan Omar im US-Kongress vertreten. Von den 13 Abgeordneten im Stadtrat sind zwölf Demokraten, einer Grüner. Der erst 2017 gewählte Bürgermeister Jacob Frey hatte versprochen, sich gegen hohe Mieten und für bessere Beziehungen zwischen Polizei und Community einzusetzen. Im Amt verschärfte er die Body-Kamera-Vorschriften für Polizisten und verbot ein sogenanntes »Warrior«-Training für Beamte. Auch sein neuer schwarzer Polizeichef war ein Reformer. Nach dem Tod von George Floyd versuchte Frey alles richtig zu machen, entschuldigte sich bei der schwarzen Community, zeigte Empathie. Die vier beteiligten Polizisten entließt er nur zwei Tage später.

Doch all das änderte nichts daran, dass in Minneapolis, wie in vielen anderen Städten auch, die meisten Polizisten nicht in den innerstädtischen Vierteln wohnen, die sie bestreifen, und nur 9 Prozent der Polizeibeamten Schwarze sind, obwohl Afroamerikaner 19 Prozent der Stadtbevölkerung stellen. Schwarze Bürger sind laut den Daten der Stadt überproportional oft betroffen von polizeilicher Gewaltanwendung unterschiedlichster Formen. Minneapolis steht damit stellvertretend für viele andere US-Städte, die ebenfalls fast alle von Demokraten vertreten werden.

Zwar verurteilten vor allem die reformerisch gesinnten Polizeichefs mehrerer US-Großstädte deutlicher als in der Vergangenheit das Verhalten des weißen Polizisten Derek Chauvin. Zwar haben etwa unabhängige Polizei-Beschwerdestellen oft wenig Macht oder sind personell schlecht ausgestattet. Das ist ein Ergebnis politischer Aushandlungsprozesse und Resultat des Einflusses der in vielen Städten mächtigen rechten Polizeigewerkschaften.

Kritische Kriminologen wie Alex Vitale von der City University of New York sagen aber, dass auch mehr oder besser umgesetzte Schulungen zu »unbewussten Vorurteilen« und weitere aktuell etablierte Ansätze zur Polizeireform das Problem nicht lösen werden, sondern eine scheinbar simple Maßnahme: weniger Polizei. Die Forderung »Defund the Police« meint zwar Abschaffung, wenn sie von Anarchisten kommt, doch viele Community-Aktivisten und progressive Demokraten verstehen darunter vor allem die Umverteilung öffentlicher Mittel zum Nachteil zu groß geratener Polizeibudgets und zugunsten des jahrlang vernachlässigten Sozialstaats.

In mehreren Städten, darunter Dallas, Durham und Nashville, gibt es Bündnisse, die Kürzungen des Polizeihaushalts bei den laufenden Haushaltsverhandlungen fordern. Der Bürgermeister von Los Angeles wollte die Mittel für die Polizei eigentlich um sieben Prozent aufstocken, erklärte nun aber, bis zu 150 Millionen kürzen zu wollen. Black-Lives-Matter-Aktivisten kritisieren das als »zu wenig«.

Für New York etwa fordern mehrere Nichtregierungsorganisationen Kürzungen im Umfang von einer Milliarde Dollar im NYPD-Haushalt. Immerhin: Mehrere Abgeordnete des Stadtrats haben sich für »deutliche« Kürzungen ausgesprochen, auch weil angesichts der Coronakrise alle Teile der Stadtverwaltung sparen müssen, dies bisher aber nicht für die Polizei gelten soll.

Die 36 000-Mann-Behörde mit dem Sechs-Milliarden-Dollar-Haushalt ist zu einem Staat im Staate beziehungsweise der Stadt geworden, den auch der als progressiver Polizeireformer angetretene Bürgermeister Bill de Blasio nur teilweise kontrolliert, wie mehrere »Polizeistreiks« in den letzten Jahren zeigten. Diese zeigten aber auch, dass weniger Polizei nicht zu mehr Verbrechen führt, wie rechte Law-and-Order-Politiker gerne behaupten. Als NYPD-Beamte Anfang 2015 für sieben Wochen mit Minimaldienst in den »Streik« traten, sank die Verbrechensrate weiter. Ähnliches passierte im Sommer 2019.

In Minneapolis hat die Schulbehörde diese Woche für ein Ende der Kooperation mit dem städtischen Police Department (MPD) gestimmt, das bisher Beamte an Schulen abkommandierte. Die University of Minnesota hatte zuvor bereits die gleiche Entscheidung getroffen. Bürgermeister Frey wurde in den letzten Monaten für die Erhöhung des Polizeibudgets von Aktivisten kritisiert. Sie hätten das Geld lieber in Gewaltprävention investiert.

So denkt mittlerweile auch der Stadtverordnete Steve Fletcher. Die Polizei der Stadt sei »ein hoffnungsloser Fall, reformunfähig«, Budgetkürzungen seien angesichts der Proteste zu wenig. Er arbeite mit Kollegen daran, das MPD »aufzulösen und durch eine Community-orientierte, nicht gewaltsame Alternative zu ersetzen«.

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