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Gleiche Rechte, gleiche Chancen?

Jahresbericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zeigt Handlungsbedarf auf

Als die Antidiskriminierungsstelle des Bundes am Dienstag ihren Jahresbericht vorstellte, knüpfte sie thematisch in doppelter Hinsicht an die Black-Lives-Matter-Proteste an.

Einerseits haben die Beratungsanfragen in Fällen mit einem rassistischen Hintergrund deutlich zugenommen. Während die Gesamtzahl mit 3580 Anfragen um 3,6 Prozent anstieg, verzeichnete die Bundeseinrichtung bei Fällen rassistischer Diskriminierung 2019 eine Zunahme der Kontaktaufnahmen um zehn Prozent allein gegenüber dem Vorjahr auf 1176. Seit 2015 haben sich diese Fälle sogar mehr als verdoppelt.

Andererseits ist der kommissarische Leiter der Antidiskriminierungsstelle, Bernhard Franke, in wesentlichen Bereichen nicht zuständig, wenn es um Rassismus geht. Seine Institution befasst sich ausschließlich mit Rassismus und Diskriminierung in Berufsleben und bei Geschäften des täglichen Lebens.

Ein Manko, das auch Franke erkennt: Findet Diskriminierung im Bereich Bildung oder der Länderpolizeien statt, dann könnten allenfalls Landesstellen einspringen. Doch erst die Hälfte der Bundesländer hat überhaupt eine Antidiskriminierungsstelle eingerichtet. Unabhängige Polizeibeauftragte, die sich mit von Polizeibeamt*innen ausgehender Diskriminierung befassen könnten, gibt es derzeit nur in Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz.

»Der Bericht der Antidiskriminierungsstelle ist ein weiterer Beweis dafür: Wir haben ein Rassismusproblem«, erklärte die Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping. »Mit der rohen Gewalt in den USA im Blick lehnen wir uns gerne zurück, beruhigt darüber, dass es ein Problem der anderen ist«, kritisierte sie.

Dass die Antidiskriminierungsstelle das Problem nicht vollständig abbilden kann, zeigt die niedrige Fallzahl im Bereich des Racial Profiling. Seit der Gründung im Jahr 2006 wurden nur 200 Fälle solcher rassistisch motivierten Kontrollen durch Beamte der Bundespolizei bei der Antidiskriminierungsstelle angezeigt. Über die Dunkelziffer kann Franke daher nur spekulieren. Aus seiner Sicht zeigt das Ergebnis einer Befragung unter Polizist*innen in Hessen jedoch die Dimension des Problems. 18 Prozent der Befragten gaben an, im Kollegenkreis schon einmal mit rassistischen Sprüchen konfrontiert gewesen zu sein.

Kosten, Zeitaufwand und der damit verbundene psychische Stress halten viele Menschen davon ab, gegen Diskriminierung vorzugehen. Franke kann sich nur mit den Anfragen befassen, die vorliegen: eine Chinesin, die in Corona-Zeiten beim Arzt keinen Termin bekommt; ein Syrer auf vergeblicher Wohnungssuche, weil ein Vermieter »keine Kanaken« will. »3580 Beratungsanfragen - das ist keine abstrakte Zahl. Dahinter stehen Menschen, denen Unrecht widerfahren ist«, sagt Franke. Unrecht, das in 33 Prozent der Fälle die ethnische Herkunft betrifft und fast eben so häufig, in 29 Prozent der Fälle, eine Benachteiligung aufgrund des Geschlechts. Behinderungen sind mit 26 Prozent, das Alter mit zwölf, die Religionszugehörigkeit mit sieben und die sexuelle Identität mit vier Prozent Thema bei den Anfragen.

Neben typischen Alltagssituationen im Kollegenkreis oder beim Einkauf zeigt der Bericht auch Diskriminierungen im Onlinebereich auf. Die automatisierte Verarbeitung von personenbezogenen Daten führt immer wieder zu Ungleichbehandlung. So stehen die Algorithmen eines in den USA ansässigen Kreditkartenunternehmens in der Kritik. Männer erhielten dort teils zehn- bis 20-fach höhere Kreditrahmen als Frauen. Vergleichbare Fälle sind in Deutschland bislang nicht bei der Antidiskriminierungsstelle aufgelaufen. Im Bericht wird die Erweiterung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes um ein Verbandsklagerecht angeregt, um einen kollektiven Rechtsschutz zu ermöglichen.

Teil der Kampagnenarbeit der Antidiskriminierungsstelle ist auch der Bereich sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. In einer Studie gaben neun Prozent der Befragten an, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erfahren zu haben. Mit 13 Prozent liegt der Wert bei den Frauen höher als bei den Männern, von denen fünf Prozent Erfahrungen mit Belästigung gemacht hatten.

Die Folgen von Diskriminierung haben fatale Wirkungen. »Diskriminierung zermürbt«, betonte Franke. Wer sie auf Dauer erlebe, verliere das Vertrauen in den Staat. Wer dauerhaft diskriminieren könne, glaube schnell, dass das folgenlos bleibe.

»Deutschland muss mehr tun im Kampf gegen rassistische Diskriminierung«, forderte Franke und sprach sich für eine Gesetzesreform aus, die auf die Tagesordnung des Kabinettsausschusses zur Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus gehöre. Nötig seien längere Fristen zur Geltendmachung von Ansprüchen, ein Auskunfts- und Klagerecht der Antidiskriminierungsstelle und ein Verbandsklagerecht. »Wir werden gegen rassistischen Hass in seiner extremsten Form nicht erfolgreich vorgehen können, wenn wir die Diskriminierung im Alltag als nachrangig behandeln«, erklärte Franke. Mit Agenturen

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