»Raum für Paranoia bleibt immer«

Angeklebte Bärte: Simon Menner hat im Stasi-Archiv Fotos aus der Welt des Agentenlebens herausgesucht

  • Lesedauer: 6 Min.

Was interessiert Sie an Geheimdiensten?

Es war gar nicht so sehr das Geheimdienst-Thema. Was ich interessant finde, ist der Bedeutungswandel in Bildern. Du denkst, dass etwas eine klare Aussage hat - bis du realisierst, worum es eigentlich geht. Ich hatte gelesen, dass die Stasi oft in Wohnungen eingebrochen ist. Um Spuren verschleiern zu können, haben sie mit Polaroid-Kameras Sofortbilder gemacht. Das fand ich faszinierend. Da ist zum Beispiel dieses Foto eines ungemachten Bettes - das Banalste, was du dir vorstellen kannst. Aber das Bild existiert nur, um die Falten nach der Durchsuchung wieder ungefähr gleich hinzubekommen. Plötzlich ist es nicht mehr harmlos, sondern repräsentiert einen brutalen Akt. An diesem Punkt habe ich bei der Stasi-Unterlagen-Behörde angefragt. Bei Überwachung geht es um eine visuelle Kultur. Aber was bekommt der Große Bruder eigentlich zu sehen, wenn er uns beobachtet?

Wie sind Sie vorgegangen?

Die Stasi-Unterlagen-Behörde ist hilfsbereit, aber langsam und bürokratisch. Erst nach und nach wurde mir klar, was das Interessante an diesen Bildern ist. Denn natürlich hat die Stasi viel Unrecht begangen. Aber sie war damit in dieser Zeit nicht alleine. Kaum einer realisiert, dass der Kalte Krieg aus zwei Akteuren bestand, die in vielen Bereichen die gleichen Mechanismen nutzten. Aber ich kann die andere Seite nicht zeigen.

Warum nicht?

Ich habe ein Jahr lang probiert, mit dem BND klarzukommen. Ich hatte auch zwei, drei relativ offene Gespräche mit Mitarbeitern, in denen sie sagten: Natürlich haben wir bei uns im Archiv auch all das, was in Ihrem Buch ist. Aber wieso sollten wir das jemandem zeigen? Das ist doch viel zu peinlich. Das macht das Stasi-Archiv einzigartig. Wenn man sich in Osteuropa umschaut: Die Strukturen anderer Geheimdienste wurden weitergenutzt. Einzig die Stasi hörte einfach auf zu existieren. Deswegen ist da auch niemand, der einen Deutungsanspruch hervorbringen kann. Wenn andere Länder den Zugang zu Archiven einschränken, ist Deutschland immer relativ schnell dabei zu sagen: Das geht ja gar nicht. Schaut euch das Stasi-Unterlagen-Archiv an. Da kann man alles angucken. Aber Moment: Was ist mit dem anderen Archiv? Das gehört immer noch zu einer Behörde, die fleißig und nach eigenem Gutdünken Akten vernichtet.

Wie gehen Sie als Künstler mit diesen Leerstellen um?

Ich habe 13 Bilder vom BND bekommen. Nach einem Jahr Hin und Her hieß es: Du kannst vorbeikommen. Da bin ich zu einer Außenstelle in Berlin-Steglitz gefahren. Mir wurden Bilder gegeben, die völlig nichtssagend waren, die eine Zigarettenschachtel oder eine Aktentasche zeigten. Als ich fragte: »Was sind das für Bilder?«, hieß es: Das können wir Ihnen nicht sagen, das ist immer noch streng geheim.

Zeigen Sie die Bilder trotzdem?

Ja, aber sie sind vollkommen belanglos - und ich habe keinerlei Hintergrundinfos dazu. Das ist die Leerstelle. Natürlich sind die Bilder von der Stasi sexyer, weil ich einfach wühlen konnte. Es gibt da diese Verkleidungsbilder von Stasi-Agenten, die sehr prägnant sind. Sonderbarerweise mussten Leute lernen, wie man als Normalbürger aufzutreten hat. Als ein Mitarbeiter des BND diese Bilder sah, meinte er: So was haben wir bei uns auch. Aber natürlich will sich niemand die Blöße geben.

Die Agenten-Fotos sehen klischeemäßig aus: auffälliger, angeklebter Bart, große Brille und Perücke …

Die spielen auch Agent. Das ist doch das Abstruse. An irgendeinem Rollenbild muss man sich ja orientieren. Das meiste, was die gemacht haben, war furchtbar banal. Aber da geht doch das professionelle Herz auf. Plötzlich kann man mal Agent sein.

Die Agenten verkleideten sich auch als westliche Touristen …

Ja, mit einer Plastiktüre aus dem Westen zum Beispiel. Ganz perfide wird es bei einer Party, die ganz oben in der Hierarchie angesiedelt ist. Es verkleiden sich alle als Gegner der Stasi. Da gibt es den Doktor, den Fußballfan, aber auch den Friedensaktivisten. Man hat ja mit dem »Schwerter zu Pflugscharen«-Aufnäher richtig Ärger bekommen. Auf einem Bild steht ein Stasi-Mitarbeiter mit seinem Glas Wein und ist stolz wie Bolle, dass er so eine tolle Verkleidung hat. Er ist die Autorität, die entscheidet, ob man das tragen darf - und zeigt den Aufnäher ganz stolz am Hut.

Was sagt uns das heute?

Man könnte als Gesellschaft vom Untergang der Stasi lernen. Sie war ein hochparanoides System. Sie war davon überzeugt, dass es eine Bedrohung von außen geben muss. Warum? Sonst gäbe es einen selbst ja nicht. Die eigene Existenz ist ein Beleg dafür. Doch die Stasi wird nie einen Beleg für die Nichtbedrohung finden können. Das ist etwas, das sich heute wiederholt. Man sagt: Wir brauchen fünf Milliarden mehr, um die islamistische oder die kommunistische Unterwanderung zu finden. Es hat den Untergang der Stasi beschleunigt zu sagen: Die Überwachung muss noch größer und durchdringender werden.

Wie ist es heute - beispielsweise beim Thema Kameraüberwachung im öffentlichen Raum?

Das ist genau das gleiche Problem. Du kannst noch so viele Kameras aufhängen: Raum für Paranoia bleibt immer. Wenn du genug Kameras aufhängst, dann ist die Paranoia nicht mehr nur bei dir, sondern kommt auch in der Gesellschaft an. Bei den Agenten-Fotos könnte man sagen: Das ist eine unheimlich schlechte Verkleidung. Den wittert man quer über den Platz. Das ist ja doof. Nee, ist es nicht. Die Überwachungskameras, die du überall siehst - ob an oder aus -, sind eine beständige Erinnerung daran, dass es eine Überwachung gibt. Und das funktioniert auch mit einem schlecht verkleideten Stasi-Agenten.

Welche anderen Themen beschäftigen Sie noch?

Ich habe mich lange und intensiv mit islamistischen Propaganda-Videos auseinandergesetzt. Dabei habe ich versucht, mediale Aspekte herauszugreifen. Was ich in der heutigen Zeit beruhigend finde, ist: Bevor der Chef von Al-Kaida auf Youtube »Tod dem Westen« ruft, muss einer seiner Anhänger die »Terms of Service« von Youtube akzeptieren. Selbst diese Gruppen müssen sich dem medialen Selbstverständnis der Plattformen unterwerfen, auf denen sie agieren. Es wird in Slow Motion getötet, um die Erwartungshaltung der Kundschaft zu erfüllen. Sonderbarerweise hat das für mich etwas Beruhigendes. Es ist und bleibt brutal, aber es ist nicht so welterschütternd, wie sie glauben.

Was passiert, wenn Sie sich über Jahre mit solchen Inhalten beschäftigen?

Die Leute erwarten, dass ich paranoider werde. Meine Reaktion ist eine ganz andere. Je mehr ich mich damit auseinandersetze, desto beruhigter bin ich. So war es auch bei den Stasi-Agenten: Das sind die gleichen Volltrottel wie alle anderen. Das Beängstigende an der Stasi ist nicht, dass sie so hochprofessionell war, dass sie alles über mich finden konnte. Beängstigend ist, dass sie ein System der Willkür aufgebaut haben. Es kann dich immer treffen. Terrorsysteme funktionieren genauso. Also warum darauf mit Angst reagieren?

Welche Themen stehen noch an?

Die Bildkultur rechter Kreise. Aber da kommen die Einschläge fast zu nah. Das Thema hat die Tendenz, mir viel zu schlechte Laune zu machen. Das ist der Grund, warum ich das immer wieder vor mir herschiebe. Diese rechten Verschwörungsidioten, die im braunen Sumpf herumhangeln: Das müsste ich mir mal genau angucken, aber ich habe es irgendwie noch nicht übers Herz gebracht.

Die Fotogalerie Friedrichshain zeigt vom 11. Juni bis 24. Juli unter dem Titel »Die FIRMA« Fotos aus Simon Menners Bildband »Top Secret. Bilder aus den Archiven der Staatssicherheit«, erschienen 2013 im Hatje-Cantz-Verlag.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal