Blumen für den Befreier

Lichtenberg erinnert mit einer Stele an Berlins ersten Stadtkommandanten Nikolai Bersarin

  • Tomas Morgenstern
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Mann, der an jenem Junimorgen an der Schloßstraße Ecke Wilhelmstraße in Berlin-Friedrichsfelde die Kontrolle über sein schweres Motorrad verlor und mit hoher Geschwindigkeit in einen Militärlaster raste, hatte keine Chance. Er starb bei dem Unfall. Es war der 16. Juni 1945, anderthalb Monate nach Beendigung der Kämpfe um die deutsche Reichshauptstadt. Der Tote war Nikolai Erastowitsch Bersarin, Generaloberst der Roten Armee, Befreier und erster Stadtkommandant von Berlin. Ein unerschrockener Soldat und leidenschaftlicher Motorradfahrer.

Seit Dienstag steht eine Gedenktafel an der heutigen Kreuzung Alfred-Kowalke-Straße/Am Tierpark, an der Bersarin vor 75 Jahren auf so tragische Weise sein Leben verloren hat. Als Truppenkommandeur hatte er während des gesamten Großen Vaterländischen Krieges gegen die deutschen Aggressoren gekämpft und maßgeblich dazu beigetragen, sie in der Berliner Operation im April/Mai 1945 schließlich in die Knie zu zwingen. Am 24. April, noch während die verlustreichen Kämpfe in der Innenstadt ihren Höhepunkt erreichten, hatte Marschall Georgi Schukow als Oberbefehlshaber der 1. Weißrussischen Front dann den Kommandeur seiner 5. Stoßarmee, Generaloberst Nikolai Bersarin, zum Berliner Stadtkommandanten ernannt.

Zur Einweihung der Gedenktafel waren neben zahlreichen Vertretern des Bezirksamtes Lichtenberg, Parlamentariern, Vertretern von Verbänden und Vereinen auch Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke), der Leiter des Deutsch-Russischen Museums Karlshorst, Jörg Morré, Vertreter der Botschaft der Russischen Förderation sowie etwa 100 Anwohner und Gäste gekommen. Lichtenbergs Bezirksbürgermeister Michael Grunst (Linke) erklärte: »Mit der Ehrung Nikolai Bersarins wollen wir den entscheidenden Anteil der sowjetischen Armee an der Beendigung des Zweiten Weltkrieges und an der Befreiung Deutschlands und Europas von der nationalsozialistischen Diktatur hervorheben. Mit Bersarin ehren wir einen Militär, der sich unmittelbar nach Kriegsende für die Wiederherstellung wichtiger Lebensbereiche der Stadt Berlin einsetzte. Keine Siegerpose, sondern praktische Taten zeichneten ihn aus.«

Der 1904 in Sankt Petersburg als Arbeitersohn geborene Nikolai Bersarin hatte in den 1930er Jahren in der Sowjetunion eine erfolgreiche militärische Laufbahn absolviert. Viele seiner Förderer fielen Stalins Säuberungen zum Opfer, was auch ihm hätte gefährlich werden können. Er bewährte sich Ende der 1930er Jahre während der erfolgreichen Abwehrkämpfe gegen die japanischen Invasoren. Im Frühjahr 1945 erkämpften seine Truppen den Oderbrückenkopf bei Küstrin. An der Seite von Schukow bereitete er den Sturm auf Berlin vor. Seine 5. Stoßarmee überschritt als erster militärischer Verband am 21. April 1945 die Stadtgrenze in Marzahn, einem zu dieser Zeit zu Berlin-Lichtenberg gehörigen Ortsteil, so erinnert das Museum Lichtenberg. »Mit dem Namen Nikolai Bersarin eng verbunden sind neben dem Aufbau einer Stadtverwaltung die Wiederherstellung des Gesundheitswesens und die Versorgung der Menschen mit Grundnahrungsmitteln sowie sein Eintreten für die Wiederbelebung und Erneuerung des kulturellen Lebens«, heißt es da. Umgehend habe er sich für die Wiedereröffnung von Theatern eingesetzt, um im zerstörten Berlin ein Stück Normalität zu schaffen. Im Ortsteil Karlshorst, dem Sitz der Sowjetischen Militärverwaltung, veranlasste er die Eröffnung der Pferderennbahn.

In der DDR wurde Bersarin 1975 für seine Verdienste um die Stadt und ihre Einwohner vom damaligen Magistrat postum die Ehrenbürgerschaft verliehen. Auch eine Straße und ein Platz in der DDR-Hauptstadt trugen seinen Namen. Das wiedervereinte Berlin übernahm ihn 1992 nicht in die neue Ehrenbürgerliste. Erst 2003 wurde seine Ehrenbürgerwürde per Senatsbeschluss wiederhergestellt - Bersarin steht nun auf Platz 89 der Liste der so Gewürdigten. »In seiner kurzen Amtszeit hat er eine persönliche Leistung für Berlin erbracht, die über seine Dienstpflicht weit hinausgeht«, so erinnert man im Berliner Abgeordnetenhaus heute an ihn.

Der Historiker und Journalist Götz Aly sagte in seiner Rede, Bersarin sei allen berechtigten Befürchtungen der Besiegten zum Trotz nicht als Rächer gekommen. »Er verzichtete auf Vergeltung und Abrechnung«, so Aly. Schon allein das sei ein ausreichender Grund, ihn zu ehren.

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