- Berlin
- Herrenberg-Urteil
Berlin: Anhaltende Unsicherheit unter Musikschullehrern
Gericht: Beschäftigung von Musikschullehrern als Freiberufler unter Umständen zulässig
Auf das Arbeitsgericht können sich freiberufliche Musikschullehrer*innen, die sich eine Festanstellung wünschen, nicht verlassen. Einen entsprechenden Antrag einer Lehrerin auf Feststellung einer abhängigen Beschäftigung hat das Arbeitsgericht Berlin abgewiesen. Die Klägerin unterrichtete seit 1999 an einer bezirklichen Musikschule. Seit geraumer Zeit fordern freiberufliche Lehrkräfte eine Festanstellung.
Das Gericht betont, dass es sich um einen Einzelfall handelt. In der Vergangenheit hätte es ganz unterschiedliche Entscheidungen gegeben. In der vorliegenden Sache sei weder vertraglich noch anhand der tatsächlichen Zusammenarbeit zwischen Schule und Lehrerin »feststellbar, dass ein weisungsgebundenes, fremdbestimmtes Arbeitsverhältnis« vorgelegen hätte. An der Musikschule sei die Lehrerin »nicht ähnlich intensiv in den Unterrichtsbetrieb eingebunden gewesen«, wie an allgemeinbildenden Schulen, urteilte das Gericht. Sie sei »frei in der örtlichen, zeitlichen und inhaltlichen Erteilung des Musikunterrichts gewesen«.
Für die Lehrerin hat das Urteil Folgen über die Art der Arbeitsbeziehung hinaus. Freiberufler*innen sind in der Arbeitsgestaltung gewöhnlich flexibler als abhängig Beschäftigte. Die wiederum genießen weitgehende Rechte gegenüber dem Arbeitgeber, etwa den Kündigungsschutz und den Arbeitgeberbeitrag zur Sozialversicherung.
Die klagende Musikschullehrerin allerdings verliert mit dem Verfahren auch ihre Arbeit für die Musikschule. Die hatte nämlich den Rahmenvertrag zum 30. September 2024 gekündigt. Mit der Feststellung eines Arbeitsverhältnisses wäre die Kündigung unwirksam gewesen.
Der Kündigung vorausgegangen war ein Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) vom Juni 2024. Der stellte fest, »dass die Musikschullehrerin im Sinne des Sozialversicherungsrechts abhängig Beschäftigte des Landes Berlin sei«. Die DRV hatte in dem Zeitraum etliche Beschäftigungsverhältnisse auf ihren freiberuflichen Charakter überprüfen lassen, mit dem Ziel, sich Sozialversicherungsbeiträge vom Land Berlin als Arbeitgeber zurückzuholen. Das Arbeitsgericht Berlin kam nun zu dem Schluss, dass »die sozialversicherungsrechtliche Einordnung« für die »arbeitsrechtlich zu bewertende Frage des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses nicht maßgeblich sei«.
Der Vorstoß der DRV war wiederum 2022 eine Reaktion auf das sogenannte Herrenberg-Urteil des Bundessozialgerichts, das einer Musiklehrerin an einer städtischen Schule ein abhängiges Arbeitsverhältnis zuerkannte.
In Berlin, dem Bundesland mit der geringsten Festanstellungsquote unter den Musikschullehrer*innen, hatte das auf Landes- und Bezirksebene Unsicherheit ausgelöst. Für eine Zeit stand gar das Angebot der Musik- und Volkshochschulen infrage, da Freiberufler*innen keine neuen Verträge mehr bekamen.
Die Honorarkräfte witterten jedoch ihre Chance auf eine Festanstellung. Auch die schwarz-rote Landesregierung hat sich dazu im Koalitionsvertrag bekannt, eine Umsetzung ist mit Verweis auf die unsichere bundesweite Rechtslage und klamme Kassen bis heute ausgeblieben. Zuletzt sollten sich Freiberufler*innen als Gegenleistung für eine weitere Beschäftigung bereit erklären, freiwillig auf eine Festanstellung zu verzichten. Im Rahmen einer Umfrage der Gewerkschaft Verdi hatten knapp 80 Prozent der Musikschullehrer*innen angegeben, festangestellt werden zu wollen.
Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Dank der Unterstützung unserer Community können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen
Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.