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Berlin: Gemeinsam lernen
Grüne fordern, Zahl der Gemeinschaftsschulen zu verdoppeln
Gemeinsames Lernen von der Einschulung bis zum Abitur: Was in vielen anderen europäischen Ländern üblich ist, steckt in Deutschland noch immer in den Kinderschuhen. Gerade mal 25 Gemeinschaftsschulen in öffentlicher Trägerschaft gibt es in Berlin – bei knapp 700 Schulen insgesamt. Dabei ist es seit 2008 möglich, Schulen in die innovative Schulform umzuwandeln.
Geht es nach den Grünen, soll sich das ändern. Bis 2031 wollen die Linksliberalen die Zahl der Gemeinschaftsschulen in Berlin verdoppeln. Das erklärten Grünen-Abgeordnete am Dienstag bei einer Pressekonferenz. Zudem soll eine Koordinierungsstelle bei der Senatsbildungsverwaltung eingerichtet werden, um Schulen die Transformation zu erleichtern. Die Gemeinschaftsschule sei »die Schule des 21. Jahrhunderts«, sagte Marianne Burkert-Eulitz, bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. »Es ist der Weg, den wir gehen müssen.«
Eine eigene Verordnung für Gemeinschaftsschulen soll nach dem Willen der Grünen den Rechtsrahmen sichern. Auch beim Schulneubau soll ein Schwerpunkt auf die Schulform gelegt werden. Unter den bestehenden Schulen sehen die Grünen bei 62 Integrierten Sekundarschulen und Gymnasien gute Chancen für eine zügige Umwandlung. Sie seien weniger als 300 Meter von einer Grundschule entfernt, mit der ein Verbund gegründet werden könne.
Im Gegensatz zu Integrierten Sekundarschulen umfassen Gemeinschaftsschulen nicht nur die Sekundarstufe, sondern sollen Schülern ermöglichen, von der Grundschule bis zum Abschluss der 10. Klasse in einem gemeinsamen Klassenverband zu lernen. Anschließend können die Schüler an einer gymnasialen Oberstufe weiterlernen. Auf die an Integrierten Sekundarschulen übliche Aufteilung der Schüler in Kurse mit verschiedenen Leistungsniveaus wird verzichtet. Stattdessen erfolgt eine »Binnendifferenzierung«, die Lehrkräfte unterrichten also alle Schüler gemeinsam, verteilen aber an das Leistungsniveau angepasste Aufgaben. Alle Gemeinschaftsschulen in Berlin sind als Produkt von Fusionen mehrerer kleinerer Schulen entstanden.
Unterstützung bekommen die Grünen aus der Wissenschaft. »Der Stand der Forschung gibt relativ klare Signale«, sagte Matthias Sandau vom Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie. Empirische Untersuchungen zeigten, dass Schüler an Gemeinschaftsschulen bessere Leistungen erbringen würden. »Das gilt vor allem für Schüler mit schwieriger sozialer Herkunft.« Auch wenn man die Schüler nach ihrer Zufriedenheit frage, fielen die Ergebnisse an Gemeinschaftsschulen deutlich besser aus.
In der Elternschaft gebe es »Vorurteile« gegenüber Gemeinschaftsschulen, beklagte Sandau. So glaubten viele Eltern, dass leistungsstarke Schüler bei längerem gemeinsamem Unterricht von schwächeren Schülern heruntergezogen würden. »Es gibt keine empirischen Beweise, dass die Leistung von stärkeren Schülern sinkt«, bekräftigte Sandau. Studien zeigten auch bei sehr guten Schülern eine bessere Lernleistung als in anderen Schulformen.
62 Schulen könnten in relativ kurzer Zeit in Gemeinschaftsschulen umgewandelt werden.
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Warum gibt es dann so wenige Gemeinschaftsschulen in Berlin? »Es mangelt an einem politischen Willen zum Ausbau«, beklagt Sandau. Schulen, die sich zu Gemeinschaftsschulen zusammenschließen möchten, stünden demnach vor strukturellen Hürden. So sei eine Fusion mehrerer Schulen oft mit finanziellen Einbußen verbunden. Der Verfügungsfonds der Senatsbildungsverwaltung etwa gewähre Schulen einen Grundbetrag und eine Pauschale pro Schüler, deren Summe allerdings auf 20 000 Euro beschränkt sei. »Nach der Fusion haben die Gemeinschaftsschulen fast immer mehr als 1000 Schüler«, sagte Sandau. Somit erreichten sie oft die Kappungsgrenze. »Zwei Schulen, die sich zusammenschließen, verlieren am Ende mindestens 10 000 Euro«, sagte er.
Eine Schule, die sich gerade erst auf den Weg zur Gemeinschaftsschule gemacht hat, ist das Hermann-Ehlers-Gymnasium in Steglitz. Dort wurde zuletzt eine gemeinsame Oberstufe mit zwei Integrierten Sekundarschulen gegründet. »Wir testen das aus«, berichtete Schulleiter Tilman Kötterheinrich-Wedekind. Bislang seien die Erfahrungen positiv. »Wir sind von dem Verbund überzeugt«, sagt er.
So seien schon nach kurzer Zeit keine Leistungsunterschiede zwischen den Schülern der verschiedenen Schulformen zu erkennen. »Herkunftsbedingte Ungleichheiten lösen sich auf«, lobte Kötterheinrich-Wedekind. Das beste Abitur in dem Oberstufenverband habe in diesem Jahr etwa eine Schülerin gemacht, die von einer Integrierten Sekundarschule kam.
Ob aus dem Verbund am Ende auch eine gemeinsame Schule wird, ist noch offen. »Wir halten uns alle Entwicklungsmöglichkeiten offen«, sagte Kötterheinrich-Wedekind. Einen langen Atem wird er mitbringen müssen: Zehn Jahre dauert es in Berlin im Schnitt, bis eine Fusion zu einer Gemeinschaftsschule vollzogen ist.
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