Ab Januar nur 15 Cent mehr

Die Mindestlohnkommission tagte länger als geplant, um dann zu enttäuschen

Es war ein bisschen wie in echten Tarifverhandlungen: Denn anders als geplant, waren sich die Vertreter von Arbeitgebern und Gewerkschaften in der Mindestlohnkommission am Dienstagmittag noch nicht einig, wie weit die gesetzliche Lohnuntergrenze im nächsten Jahr steigen soll. Knapp eine Stunde, bevor sie in Berlin ihre Empfehlung vorstellen wollten, teilte das Haus der Bundespresskonferenz mit, der Termin sei kurzfristig abgesagt worden. Die Sprecher von DGB und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände beeilten sich , die Überraschung herunterzuspielen: Die Beratungen dauerten einfach länger, hieß es.

Offenbar, so war aus informierten Kreisen zu hören, war über die konkreten Erhöhungsschritte gestritten worden. Am Ende des Tages wurden sich beide Seiten doch noch einig. Am frühen Abend trat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vor die Presse und stellte den Vorschlag der Kommission vor, der einstimmig beschlossen worden sei.
Diese empfiehlt der Bundesregierung eine Erhöhung des Mindestlohns in vier Stufen auf 10,45 Euro ab Juli 2022. Konkret soll dieser zum 1. Januar zunächst von 9,35 Euro auf 9,50 Euro pro Stunde steigen. Zum 1. Juli 2021 soll eine zweite Anhebung auf 9,60 Euro folgen, zum 1. Januar 2022 eine dritte auf 9,82 Euro. 10,45 Euro wären dann im 1. Juli 2022 erreicht.

Nach der Tarifentwicklung, woran sich die Erhöhungsschritte bislang orientiert haben, wären ab Januar etwa 9,82 Euro fällig gewesen. Die mit Arbeitgebern und Gewerkschaften paritätisch besetzte Kommission bleibt mit ihrem Beschluss also zunächst darunter und kommt damit der Forderung der Arbeitgeberseite entgegen, mit Blick auf die Coronakrise Zurückhaltung zu wahren. Man dürfe die Wirtschaft in der Krise nicht noch stärker belasten, so die Warnung.

Die Gewerkschaften hatten dagegen eigentlich für einen größeren Schritt getrommelt. Ein armutsfester Mindestlohn müsse in Deutschland bei mindestens 12 Euro pro Stunde liegen. Grundproblem ist, dass der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland im Jahr 2015 auf dem niedrigen Niveau von 8,50 Euro gestartet war. Durch die Orientierung am Tarifindex ist der Mindestlohn aber seit seiner Einführung noch nicht einmal um einen Euro gestiegen.

Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände, Linke und Grüne fordern daher die Anhebung auf mindestens 12 Euro. Denn alles darunter bedeutet, dass selbst, wer Vollzeit gearbeitet hat, im Alter zum Amt muss. Soll der Mindestlohn 60 Prozent des mittleren Einkommens betragen und damit oberhalb der Schwelle liegen, bei der nach verbreiteter wissenschaftlicher Definition von Armutslöhnen gesprochen wird, müsste er in Deutschland aktuell sogar 12,61 Euro betragen. Auch die große Mehrheit der Bundesbürger ist in Umfragen dafür, dass Löhne mindestens 12 Euro pro Stunde betragen sollen. Der Beschluss vom Dienstag enttäuscht diese Erwartungen.

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Hubertus Heil bekräftige allerdings die 12 Euro als »Etappenziel«. Damit würde die Schere zum Durchschnittslohn, der derzeit bei etwa 19,76 Euro liegt, verkleinert. Der Mindestlohn dürfe nicht von der allgemeinen Lohnentwicklung abgehängt werden, so Heil. Der Minister will deshalb im Herbst das Mindestlohngesetz »weiterentwickeln«. So solle künftig neben der Tarifentwicklung eine weitere »Leitplanke« den Einzelnen vor unzureichender Entlohnung schützen. Dieses Kriterium müsse die Mindestlohnkommission dann künftig bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. Dem Wunsch, die Politik möge die Anhebung auf 12 Euro selbst beschließen, erteilte er eine Absage.

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