Im Einerlei alltäglicher Daseinsvorsorge

Lakonisch und trocken: Die Serie »Feel Good« über Kokainprobleme, den Londoner Mietmarkt und die große Liebe

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.

Es gibt in der heteronormativen Mehrheitsgesellschaft so einige Mythen darüber, wie homosexuelle Menschen ihr Dasein gestalten. Das hartnäckigste Klischee: Party, Party, Party - garniert mit flatterhafter Promiskuität in lässigen Szenevierteln angesagter Metropolen. Also ein eklatanter Mangel an allem, was heterosexuelle monogame Normalbeziehungen angeblich ausmacht: Häuslichkeit zum Beispiel, Ruhe oder Treue. Heterosexuelle Normbeziehungsmenschen, die sich zur Serie »Feel Good« verirren, könnte es also irritieren, was die feminine George der burschikosen Mae, drei Sendeminuten nachdem sie sich in einem Londoner Kleinkunsttheater kennengelernt haben, überreicht: den Wohnungsschlüssel.

Bis dahin durfte das Publikum in Zeitraffer sehen, wie sich zwei frisch Verliebte zwischen Arbeit, Alltag und Sex näherkommen. Das Tempo, in dem die Hauptfiguren von Ausnahmezustand auf Gewohnheit umschalten, dürfte aber trotz Dutzender Serien aus dem LGBTIQ-Kosmos noch immer manches Vorurteil untergraben. Kurz zumindest, denn dann schaltet »Feel Good« von Gewohnheit wieder zurück auf Ausnahme: Kaum dass Georges und Maes Glück Konturen annimmt, erfährt Erstere nämlich, dass die Stand-up-Komikerin Mae drogenabhängig war. Und womöglich noch ist.

Die ersten sechs Folgen geht es auch um Diversität; George hatte schließlich auch ohne die verschwiegenen Suchtprobleme Skrupel, ihre Freundin im eigenen Umfeld vorzuzeigen. Maes Eltern hingegen machen beim Skypen aus Kanada ein wenig zu inbrünstig auf verständnisvoll. Doch anders als in Hochglanzformaten wie »L-Word« und »Queer as Folk«, »Queer Eye« oder »Modern Family« ist das Diverse an »Feel Good« eher ein Vehikel zur Erzählung großstädtischer Problemlagen - von der prekären Beschäftigung vermeintlich eigenständiger Rädchen im Hamsterrad des Kapitalismus bis hin zum Selbstoptimierungszwang der digitalen Leistungsgesellschaft.

Wir beobachten George und Mae dabei, wie ihr Glück vom Einerlei alltäglicher Daseinsvorsorge bedroht wird - und dies in einer sprachlichen Beiläufigkeit, die es so womöglich nur in britischer Produktion gibt. »Ist Alkohol nicht verboten?«, fragt Mae eine Leidensgenossin, als beide nach der gemeinsamen Selbsthilfegruppe mit Sektglas auf einer Vernissage stehen. »Drogen sind verboten«, antwortet ihre neue Freundin Maggie da tonlos, »Alkohol ist«, Pause, »britisch.«

So treffsicher, lakonisch und trocken, dabei aber stets von empathischer Wärme durchströmt, klingt es in den halbstündigen Episoden andauernd. Und das hat gleich mehrere Ursachen. Die wichtigste: Nach eigenem Drehbuch spielt sich die kanadische bekennend bisexuelle Stand-up-Komikerin Mae Martin als nach London emigrierte Stand-up- Spaßmacherin Mae selbst und befindet sich dabei unter der Regie von Ally Pankiw in Gesellschaft fantastischer Kolleginnen. Allen voran Charlotte Ritchie als George, die ihrer fragilen Geliebten gleichermaßen Halt gibt und den Boden unter den Füßen wegzieht.

»Friends«-Star Lisa Kudrow verleiht Maes Mutter Linda derweil eine Form öliger Scheintoleranz, die Eltern im Umgang mit ihren nicht normativen Kindern gerne zeigen, während sich der Vater Malcom (Adrian Lukis) immer dann fröhlich aus dem Videochat verabschiedet, wenn schlecht verdrängte Spannungen zur Sprache kommen, also sehr schnell.

Auch der Komiker Phil Burgers spielt eine bärige Netflix-Variante seiner selbst. So hinreißend komisch er seine Figur als drittes Rad am WG-Wagen spielt: Neu ist sein Rollentypus in dieser Wohnsituation nicht, im Gegenteil. Bis hin zum ulkigen Trinkspiel, das Mae und George beim ersten Date spielen, gleicht »Feel Good« der australischen Serie »Please Like Me«, die denkbar lustigste Dramedy über homosexuelle Normalität. Schließlich ist auch deren Autor, Star und Regisseur Josh Thomas ein dauerscheiternder Zappelphilipp auf der Suche nach Geborgenheit. Selbst sein manischer Blick gleicht dabei dem von Mae.

Dass seine Erzählung ein schwules Vorbild dieser lesbischen Geschichte plus Drogen ist, ändert aber nichts daran, dass beide warmherzig und vielschichtig, lustig und traurig, sachlich und überdreht genug sind, um nebeneinander im Regal der besten Fernsehfiktionen über die Liebe zu stehen - ganz gleich, welche Sexualität dabei ausgelebt wird.

Und wenn sogar das kritische Zielgruppenmagazin »L-Mag« als größtes Manko von »Feel Good« das abrupte Ende moniert und auf eine zweite Staffel hofft, »die dann gerne auch mehr als nur Beziehungs- und Coming-out-Probleme erzählt«, kann Mae Martin nicht alles schlecht gemacht haben beim guten Kopieren.

»Feel Good« auf Netflix

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